Lieblingsschurken: Patrick Bateman

Wenn man als Autor bei Verlagen heftig auf Granit beißen will, konzipiert man Romane mit negativen Hauptfiguren. Verlage mögen Protagonisten, die mindestens eine positive Eigenschaft mehr haben, als sie schlechte Eigenschaften besitzen, Verlage bevorzugen HappyEnds  – und sie lieben Romane, die niemanden wirklich verstören. Offene Enden, Dystopien und überwiegend schurkisches Personal hatten zu keiner Zeit wirklich Hochkonjunktur.

Ein wenig daran geändert hat unter anderem der amerikanische Autor Bret Easton Ellis, der im Jahr 1990 mit „American Psycho“ seinen bereits dritten und mit großem Abstand erfolgreichsten Roman vorgelegt hat. Mit den beiden im College-Milieu angesiedelten Vorgängern „Unter Null“ und „Einfach unwiderstehlich“ hatte dieses knochenharte und brutale Buch vor allem eines gemein: Es ging und geht um Äußerlichkeiten. Bret Easton Ellis ist ein Autor, der die Außenwelt für die unbedingte kausale Voraussetzung der Innenwelt hält, für das Korsett und die Formvorlage unserer Persönlichkeiten. Nicht wenige andere sehen das genau umgekehrt.

Ellis‘ Hauptfigur Patrick Bateman ist ein gutaussehender, erfolgreicher, wohlhabender Wallstreet-Yuppie, der sich in seiner Freizeit von einer Koksparty zur anderen hangelt, ständig in den schicksten Clubs herumhängt, nur die neuesten, angesagtesten Restaurants und Bars aufsucht – und im ständigen Wettbewerb mit seinen Kumpels steht, wenn es um Besitz und Statussymbole geht. Bateman hat den amerikanischen Traum verwirklicht und verfügt in materieller Hinsicht über alle Möglichkeiten, doch hinter dieser Fassade befindet sich offenbar nichts als Leere. Der entfesselte Hedonismus und die oberflächliche Spaßgesellschaft bieten nur äußerst kurzfristige Befriedigung. Die fast schon satirische Ernsthaftigkeit, mit der sich Bateman mit Popmusik – Madonna, Phil Collins, Tina Turner und den anderen Ikonen jener Zeit – auseinandersetzt, seine eigenen Lieblingslieder analysiert und sie mit Bedeutung auszustatten versucht, demonstriert das Vakuumeske dieser Weltsicht. Davon abgesehen ist es übrigens wirklich sehr komisch.

Bis einem das Lächeln zwei Seiten später gefriert.

Denn quasi zum Ausgleich wird Bateman regelmäßig zur Bestie. Der narzisstische Psychopath mordet zuerst, um ein frustrierendes Erlebnis zu kompensieren – seine eigene, sündhaft teure Visitenkarte kam ihm weniger stilvoll vor als diejenige eines anderen –, aber am Ende des bluttriefenden Romans stehen ausschweifende Gewaltorgien mit kannibalistischen Anteilen, haarklein, enorm kreativ und durchaus brechreizerregend von Bret Easton Ellis geschildert, was übrigens dazu führte, dass der Text zwischen 1995 und 2001 in Deutschland auf dem Index stand, bis der Kiepenheuer Verlag einen Prozess gewann. Man sollte dennoch davon Abstand nehmen, einem jungen Jugendlichen beispielsweise die Szene mit der Frau, der ausgehungerten Ratte und dem Plastikrohr vorzulesen.

Das Absurdeste an Figur und Roman ist jedoch, dass Bateman im Grunde ertappt, gestellt und am weiteren Morden gehindert werden möchte, dass ihm jedoch niemand glaubt oder glauben will, eigentlich nicht einmal einer richtig hinhört. Ein Anwalt, dem er alle Bluttaten gesteht, hält das für einen Scherz oder eine Verwechselung. Die Oberflächlichkeit der materialistischen Gesellschaft lässt nicht zu, dass es Leute wie Bateman geben darf. Sie will nicht wissen, wie dünn das Häutchen ist, das die vermeintliche Zivilisation von blanker Anarchie trennt. Batemans Opfer sind der Kollateralschaden, den man für die Aufrechterhaltung des Trugbilds in Kauf nimmt. Folgerichtig kommt er mit allem davon; die eigentlich völlig aussichtslose Situation fast am Ende des Romans, als Bateman eine Wohnung im völligen Chaos hinterlässt, angefüllt mit Spuren, die direkt auf ihn hinweisen, verkehrt sich zur Verblüffung aller (auch der Leser) kurz darauf ins Gegenteil.

Ich habe diesen Roman seinerzeit direkt nach „Die Anatomiestunde“ von Philip Roth gelesen, dem dritten Teil der Reihe um Nathan Zuckerman, einem Alter Ego von Philip Roth – und übrigens auch einer überwiegend negativen Figur, jedenfalls keinem identifikationsstiftenden Kumpeltyp. Beide Bücher haben meine Sichtweise auf die Literatur und das Schreiben nachhaltig beeinflusst, weil sie mir gezeigt haben, wie wichtig es ist, die Schere im Kopf loszuwerden – etwas, das man nur mit negativen Protagonisten auf diese Weise lernen kann, denn diese Schere will das Schlechte herausschneiden und uns ausschließlich gut, gefällig und freundlich sein lassen.

Was allerdings auch nicht ganz ungefährlich ist. Bis heute wird Bret Easton Ellis unterstellt, selbst ziemlich gestört zu sein, womit der Autor in seinen – nicht nur guten – neueren Romanen auch gespielt hat, zuletzt in „Lunar Park“ (2005), einem vordergründig stark autobiografischen Text über einen Autor namens Bret Easton Ellis. Am Ende dieses – übrigens brillanten – Romans taucht Patrick Bateman als Realfigur auf. Je negativer ein Held ist, umso eher wird nach Ursachen in der Autorenperson gesucht, aber unterm Strich sind meiner Überzeugung nach solche Hauptfiguren realistischer als die anderen, diese Happyendler und Sie-kriegt-Ihns. Deren Geschichten jedoch, zugegeben, beim Lesen mehr Spaß machen (und beim Schreiben meistens auch).

Patrick Bateman ist fraglos eine der widerwärtigsten Hauptfiguren der zeitgenössischen Literatur, aber auch eine ihrer ehrlichsten, wie ich finde, und genau das mag ich an der Figur – und nicht an der Person, wohlgemerkt. Außerdem hat Bret Easton Ellis meinen tiefsten Respekt dafür, diese Nummer durchgehalten zu haben. Kein anderer hat je so nervenzerfetzend seine Fingernägel über die polierte Oberfläche unserer Gesellschaft gezerrt.

Ihr Tom Liehr

Bret Easton Ellis, American Psycho

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