Lieblingsschurkin: Cecile

Wir haben in den letzten Wochen unterschiedlichste Arten von Schurken vorgestellt – Schurken aus Leidenschaft, aus Idealismus, aus Langeweile. Und doch haben sie alle eines gemeinsam: es waren Männer. Dabei gibt es so viele faszinierende weibliche Bösewichte. Circe, Medusa, Lulu und Lady Macbeth, um nur einige der berühmtesten Schurkinnen zu nennen, denen Joachim Nagel zusammen mit anderen Femmes fatales sogar ein ganzes Buch gewidmet hat. Aber eine fehlt in seiner ansonsten umfassenden Zusammenstellung, meiner Meinung nach sogar eine der faszinierendsten: Cecile!

Im Gegensatz zu klassischen Femmes fatales ist die amoralische Cecile aus Francoise Sagans „Bonjour tristesse“ weder schön noch ehrgeizig. Ihre hervorstechende Eigenschaft ist eine geradezu aufreizende Trägheit, und doch ist ihr Tun nicht minder zerstörerisch. Sie sieht nicht nur aus wie eine magere Katze, auch ihr Charakter ist durch und durch tierisch, frei von menschlichen Skrupeln, frei von Moral.

Die Handlung des 1954 erschienenen Romans ist rasch erzählt: Wie jedes Jahr hat  Ceciles verwitweter Vater an der Côte d‘Azur eine Villa gemietet, um dort mit Tochter und aktueller Geliebter die Sommermonate zu vertrödeln. Die drei verstehen sich gut; vereint durch die gemeinsame Neigung zu Faulheit und Oberflächlichkeit verbringen sie die Tage mit Baden, Trinken und Tanzen. Ohne größere Gefühlswallungen beginnt Cecile eine Affäre, gibt jedoch auch dabei die ihr eigene Passivität nicht auf. Eine Idylle, zumindest aus Sicht Ceciles. Eine plötzlich bedrohte Idylle, denn mit dem Auftauchen der vernünftigen, selbstsicheren Modedesignerin Anne Larson beginnt das friedliche Gleichgewicht des Dreiecks zu kippen. Anne plant, Ceciles Vater zu heiraten, möchte Ordnung in das Leben von Vater und Tochter bringen, und obwohl Cecile spürt, dass dieser Schritt für sie alle ein moralischer Gewinn wäre, sträubt sie sich gegen die Aufgabe ihres süßen Lebens.

Zur Verteidigung ihres Hedonismus ist sie zu allem bereit, und wie man es von einer vollkommenen Schurkin auch erwarten kann, gelten für sie keine Regeln des Anstands und der Moral. Kaltblütig, ohne jeden Skrupel, spinnt sie ihre infame Intrige und bekennt nach deren tödlichem Erfolg nur lapidar, manchmal schon ein wenig traurig zu sein.

Kein Wunder, dass die konservativen Kritiker angesichts solcher Nonchalance Amok liefen und das Debut der gerade achtzehnjährigen Autorin mit ihren empörten Verrissen zu einem Bestseller machten. Doch auch ohne erhobenen Zeigefinger ist „Bonjour tristesse“ großartig. Cecile ist sicher eine typische Frauenfigur Sagans, aber sie ist auch die vollendete ihrer ewig gelangweilten, ewig passiven Heldinnen. Nie wieder gelingt es Sagan, die Amoral einer ganzen Generation mit solcher Vollkommenheit darzustellen, nie wieder schafft sie ein so perfektes Zusammenspiel von äußerer und innerer Handlung, nie wieder dieses Maß an atmosphärischer Dichte. Wer kann, sollte das Buch unbedingt im französischen Original lesen. Es lohnt sich.

Ihre Joan Weng

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