Literaturzeitschriften: Mauerläufer

Als ich ein Kind war, besuchte meine Oma uns jeden Donnerstag, und jeden Donnerstag brachte sie mir die neue Micky Maus mit. Nie werde ich vergessen, mit welcher Begeisterung ich diese bunten Heftchen aufschlug, wahllos irgendwo, und einfach anfing zu schmökern. Es war ganz egal, was ich zuerst las, es war ja alles großartig. Jede Geschichte für sich ein Highlight und etwas ganz Besonderes – zumindest für mich als zehnjähriges Mädchen. Vermutlich würde ich heute angesichts der Micky Maus nicht mehr in derartige Verzückung geraten, aber dennoch durfte ich sie dieser Tage wieder erleben. Mir wurde nämlich der aktuelle „Mauerläufer“ zugeschickt und dieses kleine „Jahresheft für Literatur und Kunst“ ist ein bisschen so etwas wie ein Micky-Maus-Heft für literaturbegeisterte Erwachsene. Schon der Anblick macht einfach Freude, dann die herrliche Qualität des Papiers und der Geruch. Ja, ich gestehe, ich rieche an meinen Büchern und jeder, der sagt, Bücher und Zeitschriften hätten keinen ganz eigenen, wundervollen Duft, dem rate ich, seine Nase in den aktuellen „Mauerläufer“ zu halten. Ich liebe diese Mischung aus Druckerschwärze und Papier einfach! Die Aufmachung des Mauerläufers ist wirklich erwähnenswert, denn fast jede Seite ist für sich schon ein sinnliches Erlebnis. Hier fügt sich Layout, Farbwahl, Design und Text zu einem harmonischen Ganzen und macht einfach Lust zu blättern.  Und auch wenn ich das Puristische kleiner Zeitschriften wie der „Arcana“ liebe, die optische, haptische Qualität des „Mauerläufers“ ist extrem beeindruckend. Die Qualität der Texte ist dagegen mitunter ein wenig durchwachsen – neben den hochästhetischen, sehr anspruchsvollen Werken einer Sylvia von Keyersling finden sich auch immer wieder Texte, über deren künstlerischen Wert sicher diskutiert werden könnte. Gerade das ist es aber, was meiner Meinung nach den Reiz dieses Jahresheftes ausmacht: der Inhalt ist nicht gefällig.

Für mich persönlich hat es etwas ungemein Erfrischendes, Texte fern des Meinungsmainstreams von Feuilleton und Spiegelbestsellern lesen zu dürfen, und darauf zielt der Mauerläufer auch ganz klar ab. Er selbst bezeichnet sich als „regional radikal randständig“. Wer neugierig geworden ist, kann ihn über  bestellung@mauerlaeufer.org. beziehen. Ich jedenfalls wünsche diesem Projekt noch ein langes, langes Leben!

Ihre Joan Weng

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