Macarena am Schwielowsee oder Wie es ist, verfilmt zu werden

 

„Habt Ihr Smartphones dabei?“ fragt die Regieassistentin zur Begrüßung. Wir nicken. „Prima! Kennt Ihr Macarena? Das Lied und den Tanz?“ Wir nicken wieder, aber leicht verunsichert. „Klasse! Sucht Euch das bei Youtube raus. Ihr müsst das üben. Wir filmen Euch dann dabei, wie Ihr Macarena tanzt, zusammen mit den Hauptdarstellern. Das wird der Cameo-Auftritt.“ Sie rauscht davon, wir schauen uns betreten an. „Ich hab Rücken“, nuschelt Stefan. „Ich muss weg“, sagt Frank.

Leute, die nichts mit der Buchbranche zu tun haben, pflegen zuweilen eine recht naive Vorstellung davon, wie es ist, Schriftsteller zu sein. Wer einen Roman bei einem größeren Verlag veröffentlicht hat, hat das Gröbste hinter sich, glauben sie. Die Millionen sprudeln, die Groupies geben sich die Bettdecke in die Hand, Hollywood lässt sich eine Standleitung legen – und man ernährt sich fortan nur noch von Schampus, Austern und diesem absurdteuren Kaffee, den indonesische Fleckenmusangs gefuttert und wieder ausgeschissen haben.

Die Realität ist ein ganz kleines bisschen anders. Durchschnittlich erfolgreiche Autoren verdienen mit ihrer Arbeit weniger als ein Facharbeiter. Keiner erkennt einen auf der Straße. Und meistens arbeitet man einfach. Ziemlich hart sogar, in vielen Fällen. Dazu trinkt man Aldikaffee oder, später dann, nachdem man zum zehnten Mal auf keiner Longlist war, Lidlwein aus Tetrapaks. Den ganz billigen.

Aber es gibt zwischen diesem Dasein und dem Rowling’schen Milliardencoup auch feine Abstufungen. Zu diesen gehört es, wenn das Telefon klingelt (oder Whatsapp summt oder das Telefax lostickert) und man erfährt, dass eine Produktionsfirma die Filmrechte zu einem Roman angefragt hat.

Das ist bei mir vor vier Jahren passiert. Nicht zum ersten und hoffentlich nicht zum letzten Mal, aber in diesem Fall mit inzwischen sichtbarer Wirkung. Okay, es waren nicht Steven S. oder Ridley S., die angerufen haben, sondern Martin (auch nicht S.), aber der hat dann tatsächlich einen Film aus einem meiner Romane gemacht.

Das Ergebnis heißt „Leichtmatrosen – Drei Mann in einem Boot“ und lief im Mai 2017 in der ARD. Dreieinhalb Millionen Menschen haben es angeschaut.

Leute, die nichts mit der Filmbranche zu tun haben, denken: Na ja, die lassen ein Drehbuch schreiben, dann werden ein paar Schauspieler gebucht, anschließend geht man für ein, zwei Monate ins Studio und kurz darauf läuft der Film dann in den Kinos. Tatsächlich dauert es viel (<- hier bitte fette, halbmeterhohe Versalien imaginieren) länger. Und es ist ein ungeheurer Aufwand – mit ungewissem Ausgang, denn es wird nicht chronologisch gedreht, dafür mit engem Zeitplan und unter Beteiligung mehrerer Hundertschaften von Menschen, Dutzenden Zulieferern, gutmeinenden Ämtern und nicht zuletzt jener Kraft, die über Sonnenschein oder Wolkenbruch entscheidet.

„Leichtmatrosen“ ist im April 2013 erschienen, kurz darauf kamen einige Anfragen von Produktionsfirmen, das ist die erste Stufe: Die Produzenten lassen prüfen, ob die Rechte noch – und zu welchem Preis – zu haben sind. Früher, als alles sehr viel besser war, haben die großen Filmproduktionen nach dem Gießkannenprinzip angefragt und dann auch optioniert, um die Rechte für andere zu sperren, denn das ist die zweite Stufe: Die Option – eine Art Vorkaufsrecht auf die Filmrechte, die meistens für ein, zwei Jahre vereinbart wird. In dieser Zeit überlegt man sich, ob man den Film machen will, schaut sich nach Geldgebern, Locations und Personal um, aber man bezahlt auch für diese Wartezeit. Zwar nicht so viel, wie für die Filmrechte selbst, aber es fließt Geld. Das dann meistens später mit dem Rechtehonorar verrechnet wird.

Im Sommer 2013 habe ich mich zum ersten Mal mit Martin getroffen. Ziemlich jung, ungeheuer sympathisch, Berliner, was es einfacher machte. Seine Produktionsfirma hatte gerade mit Ulrich Tukur einen Kinofilm produziert: „Houston“. Wir tranken Kaffee in Kreuzberg und unterhielten uns über das Buch. Also: Ich lauschte ihm und habe ab und zu eher reflexartig geantwortet, aber die meiste Zeit habe ich den Schriftzug angestarrt, der in Riesenlettern vor meinem geistigen Auge prangte: DAS IST EIN FILMPRODUZENT. DER WILL AUS EINEM BUCH VON DIR EINEN FILM MACHEN. VERRÜCKT, ODER? (Dieser Schriftzug ist übrigens erst am Tag der Ausstrahlung wieder verschwunden.)

Damals ging es noch um Kino. Also – eigentlich ging es um einen abgedrehten, wilden Fantasietraum, in den ich geraten war.

Martin erzählte mir, dass er das Buch großartig fände und beim Lesen im Prinzip schon den fertigen Film vor sich gesehen hätte. Wir sprachen über die Figuren, und ich wurde gefragt, welche Schauspieler ich mir in welchen Rollen vorstellen könnte. Ich wollte Jürgen Vogel für Simon, den Handwerker. Ich witzelte, dass ich einen kleinen Auftritt für mich selbst auch nicht schlecht fände. Martin nickte und machte sich Notizen.

Als wir uns zum zweiten Mal trafen, war schon Stefan dabei, beim dritten Mal Silja. Der Regisseur und die Drehbuchautorin. Der Südwestfunk (SWR) hatte inzwischen bekundet, das Projekt mitfinanzieren zu wollen. Ein relativ großer Verleih hatte sich gemeldet. Ich hörte mir all das mit Interesse an, fand Stefan und Silja (wie eigentlich alle Beteiligten) auch wieder überaus sympathisch und vor allem total kompetent, habe aber weiterhin gedacht: Das ist ein Ulk. Dennoch gab ich mein Bestes, als wir uns über Abläufe, Timing, Drehorte, Bootstypen und Konzepte unterhalten haben.

Selbst als mir Martin im Sommer 2015 erzählte, er würde jetzt mit einigen Leuten aus der potentiellen Crew auf Hausboottour gehen, um das Revier zu erkunden, hielt ich das noch lediglich für ein schwaches Indiz, höchstens.

Im Frühjahr 2016 bekam ich ein aktualisiertes Konzept und eine Drehbuchfassung. Martin schrieb mir, dass sie im kommenden Sommer drehen wollen. Schon zweieinhalb Jahre nach der Veröffentlichung des Romans. Ich las Konzept und Drehbuch und war nach wie vor sicher, dass die das im Leben nicht tun würden. Nicht ernsthaft. Nicht nach einem Roman von mir. Obwohl inzwischen die ARD in Form der Degeto im Boot war und aus dem Konzept fürs Kino ein Prime-Time-Event-Fernsehspielfilm entstanden war.

Den es ja sowieso nicht geben würde. Niemals.

Übrigens fand ich das Drehbuch toll. Ja, sie hatten mir eine Hauptfigur gestrichen, den vierten Mann, Mark, den kokainsüchtigen Berufsjugendlichen, der immerzu „feinkörnig“ sagt, aber das war okay. Sie hatten das Personal um acht bis zehn Jahre verjüngt und die Geschichte von Cora und Finke als zentralen Konflikt gewählt, jedoch ohne die anderen Konflikte, die im Buch gleichrangig sind, zu vernachlässigen. Meinetwegen. Verfilmung ist Adaption. Eigentlich ist der Begriff „Verfilmung“ falsch, wenigstens unscharf, denn man verfilmt keinen Roman, was meistens ohnehin unmöglich ist. Man entwickelt auf Basis eines Romans ein Konzept für einen Film. Man überlegt sich, wie man Figuren, Motive, Handlungselemente, Prämisse und Botschaft eines Romans auf die Leinwand bringen kann – und nicht den Roman selbst.

Frühsommer 2016, das fünfte oder sechste Treffen mit Martin, übrigens wie meistens in meiner Stammkneipe in Berlin-Neukölln. Wo ich oft sitze und an meinen Romanen schreibe, wo im Jahr 2010 die Idee entstand, zu fünft eine Männer-Hausboottour zwischen Havel und Müritz zu unternehmen, während derer dann die Idee für den Roman geboren wurde. Bei diesem Treffen gab mir Martin seine Kopfhörer und tippte auf seinem Macbook eine Musikdatei an. Und dann hörte ich einen Song, dessen Titel – „Slow Love“ – ich mir für meine Romanfigur Cora ausgedacht hatte. Es gab ihn jetzt wirklich und in echt. Es gab inzwischen eine Besetzung. Einen Drehplan. Personal vom Produktionsfahrer bis zum Caterer. Ich saß da, lauschte dem Musikstück, das ich völlig hinreißend fand, sah mir die Profilfotos der Schauspieler an und hatte eine Ganzkörpergänsehaut. Sie würden es tun. Sie würden es wirklich tun. Ab September. Drei, vier Wochen lang. Und im Sommer darauf – also im Jahr 2017 – würde der Film dann zu sehen sein.

Und das, obwohl sie die Rechte immer noch nicht gekauft hatten. Ja, die Option lief, inzwischen in der zweiten – kostenpflichtigen – Verlängerung, aber sie planten und arbeiteten genau genommen ohne Erlaubnis. Oder? „Das machen die meistens so“, sagte Hanne, die in der Literaturagentur für die Filmsachen zuständig ist. „Keine Sorge.“

Im August, beim Warm-Up, der kleinen Party zum Drehbeginn, lernte ich die wirklich coolen Schauspieler kennen, die ich dann auch mehrfach am Set traf. Golo, Stefan, Gabriel, Susanne, Michael, dazu viele, viele andere, vor allem aber die Kids, zum Niederknien entspannt, schon mit elf, zwölf so professionell wie manch einer nicht am Lebenszenit. Ich, zum Beispiel. Immerhin, als der RBB später am Set mit mir eine kleine Reportage produzierte, war ich, glaube ich, recht lässig.

Gedreht wurde erst in Berlin, dann am Schwielowsee bei Potsdam, danach zwischen Fürstenberg und Zehdenick im „Revier“ und ganz am Ende noch in Stuttgart. Die Konzerthalle „Astra“ in Berlin-Friedrichshain ist im Film in Rostock, der Biergarten an der Schleuse Kannenburg ist in Mirow am gleichnamigen See, und auch die Kirche, in der Henner predigt, ist zumindest von außen nicht wirklich in Stuttgart. Da, wo die Jungs im Film Badminton spielen, habe ich das auch schon getan. Film ist Fiktion. Das gilt für alle Bestandteile.

Beim Drehtag am Schwielowsee – sechzehn Stunden Aufwand für drei Minuten Film – sollte dann mein Cameo-Auftritt sein, wobei Martin die Idee hatte, doch die anderen Original-Leichtmatrosen mitzubringen, aber nur Stefan und Frank konnten. Wir waren ziemlich aufgeregt. Und noch aufgeregter, nachdem uns die Regieassistentin erklärt hatte, dass wir Macarena tanzen müssten. Etwas, das wir nicht einmal ohne Zuschauer je getan hätten. Also saßen wir auf der Seebrücke des Strandbads am Schwielowsee, während um uns herum Steadycams geschleppt und Kommandos gebrüllt wurden, Scheinwerfer aufflammten und wieder erloschen, Statisten am Strand saßen und auf ihre Chance warteten, Schauspieler zum Catering flanierten, um Spätzle zu essen.

Aber wir mussten nicht tanzen. „War nur ein Witz“, sagte die Regieassistentin grinsend und zeigte uns die Sessel, in die wir uns fläzen sollten, um das Bier entgegenzunehmen, das uns eine Komparsin in der fraglichen Szene servieren würde. Wir lachten erleichtert, fast schon debil, außerdem erwartungsvoll: Das konnten wir nämlich, Bier entgegennehmen, schließlich hatten wir uns während dieser Tätigkeit kennengelernt, zwanzig Jahre vorher. Leider war der Gerstensaft alkoholfrei (Alkohol ist bei Dreharbeiten tabu), aber nicht einmal das Zeug durften wir trinken, denn es gab fünfzehn Takes dieser Szene, und zwischendrin wurde das labbrige Getränk immer wieder schaumig gequirlt.

Anfang April 2017 war die Vorpremiere des Films, in einem Kino in Schwäbisch-Gmünd, weil Stefan, der Regisseur, von dort kommt. Ich fuhr hin, als Ehrengast, außerdem waren einige Hauptdarsteller dabei, und wir saßen zusammen im großen Saal, wo nach einer komödiantischen Performance von Michael, der im Film den Bösewicht spielt, „Leichtmatrosen – Drei Mann in einem Boot“ nach dem Roman „Leichtmatrosen“ von Tom Liehr gezeigt wurde. Der in Reihe zehn saß und gegen Tränen ankämpfen musste. Und gegen ein sehr irres Lachen, später dann. Weil es ein feiner, liebenswürdiger, schöner Film geworden ist, auf den er über alle Maßen stolz ist.

Die Option wurde tatsächlich erst unmittelbar vor dem ersten Drehtag ausgelöst, also der Rechtekauf wirksam – die dritte Stufe. Obwohl die Vorarbeiten da schon viele Monate in Anspruch genommen hatten, ließ man sich diese Zeit. Umso schöner war es dann, die Zahl auf dem Kontoauszug lesen zu können. Nett! Aldikaffee und Lidlwein für ein paar Wochen gesichert. Und vielleicht zwei, drei Tassen von diesem Fleckenmusangschisskaffee.

Übrigens: Wenn Ihr bei einer Literaturverfilmung erst im Nachspann einen etwas verschämten Hinweis „Nach Motiven eines Romans von XY“ seht, die Romanvorlage aber im Vorspann und bei der Werbung unerwähnt bleibt, dann ist der fertige Film beim Autor der Vorlage sehr wahrscheinlich durchgefallen, als er ihn beim Screening gesehen hat. Denn das ist die einzige Maßnahme, die dann noch bleibt, der Rückzug auf diese Form der Nennung. Verbieten kann man das Ergebnis nicht. Obwohl sich das, nach allem, was man so hört, schon manch ein Romanautor gewünscht hat.

Aber ich nicht einmal im Traum.

Der tatsächlich in Erfüllung gegangen ist. Wahnsinn.

„Leichtmatrosen – Drei Mann in einem Boot“ ist noch bis zum 12. August 2017 in der ARD-Mediathek verfügbar.

Der Cameo-Auftritt ist ungefähr in der Filmmitte.

Ihr Tom Liehr

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Ein Gedanke zu „Macarena am Schwielowsee oder Wie es ist, verfilmt zu werden“

  1. Das Buch hatte ich gelesen und fand es sehr unterhaltsam. Dann der Film. Freitag, ARD, 20 Uhr 15. Mist, ich bin unterwegs. Nach einem langen Tag wollten die anderen noch in einer Kneipe abhängen, das geht bei mir nicht, ich muss ins Hotel, fernsehen schauen. „Äh?“ Schnell noch eine Tüte Chips gekauft, ab ins Hotel. Uff, knapp, aber genau um 20 Uhr 15 ging es los. Das Buch vorher lesen, dann den Film sehen, das kann mal ins Auge gehen. In diesem Fall nicht. Die Schauspieler passten zu den Bildern in meinem Kopf beim lesen, die Handlung war durchgängig ähnlich wie das Buch, mir fehlte nichts. 15 Mal eine Flasche Bier hin und dann wieder hergeben müssen, au man, das is tja fast schon Arbeit! Jetzt kann ich mich nur noch in Geduld fassen, bis das nächste Buch von Dir verfilmt wird. Landeier wäre sicher sehenswert.

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