New York – New York

Vor einem Jahr, Mitte Oktober, war ich in New York. Es hatte nie zu meiner Lebensplanung gehört, diese Stadt zu besuchen – zu weit weg, zu laut, zu groß, zu gefährlich. Dann habe ich in einem unbedachten Moment unserer Tochter versprochen, sie einmal dorthin zu begleiten. Von diesem Versprechen kam ich nicht mehr los. Corona hatte es etwas verschoben, aber letztes Jahr wusste ich keine Ausreden mehr und durfte mit in den Flieger steigen. Doch ich müsste lügen, wenn ich das nur als Last oder Strafe ausgeben würde. Gespannt war ich denoch, und neugierig streifte ich die acht Tage durch die Stadt – teils allein, aber meistens mit unserer Tochter, die mir eine gute Führerin war, weil sie New York bereits mehrfach besucht hatte. Der erste Eindruck war, mich unendlich klein zu fühlen, nämlich dann, wenn ich den Blick nach oben richtete.

Im Central Park hatte ich das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein, besonders am Sonntagvormittag, an dem wir mit Birding Bob auf Vogelexkursion gingen. Unsere Tochter hatte das schon von Deutschland aus organisiert und dabei ausgiebig mit Bob korrespondiert, sodass wir begrüßt wurden wie alte Bekannte. Eine kleine Gruppe New Yorker hatte sich um ihn gescharrt, die regelmäßig mit Bob auf Tour gingen, weshalb er auch bemüht war, Besonderes für seine Fans zu finden. Mich irritierte anfangs, dass ich den Vogel, der so laut sang, nicht ausmachen konnte. Ich wollte Bob gerade danach fragen, als ich sah, dass er es selbst war, der die Vögel mit Tonaufzeichnungen anlockte.

Natürlich musste sich der New York-Besuch für mich auch literarisch lohnen, weshalb ich an einem Tag allein in die Bronx fuhr, um Edgar Allen Poe und Heinrich Heine einen Besuch abzustatten. Beides verlief leider enttäuschend. Das Poe Cottage in Fondham, in dem er von 1846 bis 1849 lebte, war ziemlich heruntergekommen und dazu noch eingezäunt. Nicht weit entfernt ist das Heinrich-Heine-Denkmal von Ernst Herter zu finden. Es sollte ursprünglich 1897 zu Heines hundertstem Geburtstag in Düsseldorf installiert werden. Antisemitische Hetze verhinderte dies, und so kam es nach New York und wurde 1899 im Beisein des Künstlers dort aufgestellt. Auch dieses Denkmal aus weißem Marmor war eingezäunt, weil es renoviert werden sollte.

Ein anderer Tag führte mich abermals in die Bronx, diesmal auf den Woodlawn-Friedhof. Ich wollte Miles Davis besuchen, der dort seine letzte Ruhe gefunden hatte,  einige andere Größen, vor allem aus dem Jazz, ebenso. Darüber habe ich an anderer Stelle ausführlich berichtet. Weshalb ich es hier noch einmal anspreche: Dort kam der Herbst das erste Mal in jenem Jahr für mich richtig zur Geltung. In der Stadt selbst, auch im Central Park, war bis dahin kaum etwas von ihm zu bemerken. Dort auf dem Friedhof leuchtete er aber schon an vielen Stellen prächtig auf. Die Tage danach war auch in der Stadt etwas davon zu sehen, aber nicht so stark.

Halloween begleitete uns durchgehend. Unglaublich, was die Leute sich da alles einfallen lassen! Die Kürbisse, die bei uns seit Jahren ebenfalls etabliert sind, waren noch das wenigste. Man kann darüber lächeln, oder sich sogar über den Einfallsreichtum freuen. Betroffen hat mich dagegen gemacht, wie sehr in New York die ‚Psycho-Readings‘ grassierten: Wahrsager, Kartenleser, Astrologen, Wunderheiler und noch mehr. Einen sah ich, der verkaufte zusätzlich Versicherungen.

Begeistert hat mich ein Buchladen auf der Upper Eastside. Allein die Ladenkasse lohnt schon den Besuch. Sie funktioniert noch immer, rein mechanisch und ohne Strom. Auf meine Frage hin erlaubte man mir stolz, das gute Stück zu fotografieren und selbstverständlich verließ ich den Laden nicht, ohne ein Buch gekauft zu haben.

Kein Tag war langweilig. Und doch war ich froh, als wir am 22.10.22 morgens in München landeten. Im „Gepäck“ hatte ich auch eine ganze Reihe Geschichten, die ich in der Stadt am Hudson River sozusagen von der Straße aufgehoben habe. Einige sind bereits aufgeschrieben, andere existieren lediglich als Skizze. Über diesen Winter werden sie wohl auch zu einer Geschichte werden. Die eine oder andere – vielleicht auch alle – werde ich im nächsten Jahr zu veröffentlichen versuchen.

Kommt gut durch den Herbst!

Ihr Horst-Dieter Radke

Teilen: