Nichts Neues schenken!

Weihnachten durch die Buchläden hetzen und ultimative Neuerscheinungen suchen, als Geschenke für Personen, die man schätzt oder die man zu beschenken müssen glaubt? Dabei die Auslagentische abräumen, welche Standardtitel diverser Bestenlisten enthalten, die im nächsten Jahr schon wieder vergessen sind, weil neue massentaugliche Allerweltsliteratur aufgelegt wurde? Das Risiko eingehen, nicht der Einzige zu sein, der Fatzkes neuen Thriller schenkt?

 Das!Wollen!Sie!Nicht!Wirklich!

 Eine Möglichkeit ist, diese Auslagentische und Bestenlistenregale weiträumig zu umgehen und in den Buchläden – den echten, in denen man die Bücher noch anfassen kann – die Titel in die Hand zu nehmen, die schamhaft im Regal verborgen sind oder in dunklen, schlecht beleuchteten Ecken liegen, dabei die gängigen und großen Verlage vermeiden und nach solchen schauen, die es seltenst in die Auslagen schaffen, aber schon lange und immer wieder gute Literatur verlegt haben. Ich fange hier gar nicht erst an, aufzuzählen, denn auch dies ist nicht meine Empfehlung für dieses Weihnachtsfest. Lieber zu wirklich schönen Büchern greifen, wie sie zum Beispiel Officina Ludi verlegt, jedes Jahr nur ein einziges, das aber typografisch und künstlerisch wundervoll gestaltet.

Doch merken Sie sich diese Adresse besser für eine nächste Gelegenheit oder für sich selbst. Kaufen und verschenken Sie dieses Jahr zu Weihnachten ein altes Buch! Jawohl, Sie haben richtig gelesen. Suchen Sie ein Buch, das schon andere gelesen haben, dem man ansieht, dass es Spuren der Zähne der Zeit hat. Damit meine ich kein zerfleddertes, verschmutztes, beschädigtes Buch. Schauen Sie einmal in ein Antiquariat, dort finden Sie genügend Bücher, die in einem guten Zustand sind und doch unübersehbar das Alter erahnen lassen, bevor sie im Impressum nachgesehen haben.

Allerdings tritt dann natürlich das Problem auf: Welches alte soll Buch man schenken? Dem Zufall die Wahl überlassen? Tun Sie das nicht. Gerade vor Weihnachten ist der Zufall derart beschäftigt, dass Missgriffe quasi vorprogrammiert sind. Besser ist es, sich ein paar Gedanken zu machen, zum Beispiel über die Zeit, aus der das Buch stammen soll. Die Klassiker aus dem 18. Jahrhundert, noch dazu in einem »guten Zustand« sind selten aus schmalem Geldbeutel zu finanzieren. Bücher aus Kriegsjahren sind meist wegen schlechtem Papier nicht mehr in einem guten Zustand. Aber Bücher der Nachkriegszeit, zum Beispiel der 1950er Jahre, kann man noch in brauchbaren Ausgaben und zu erschwinglichen Preisen bekommen. Außerdem gibt es eine ganze Reihe Autoren, die heute schon zu Unrecht vergessen sind.

Nehmen wir einmal Gregor Dorfmeister, Journalist und Schriftsteller, der genau drei Romane veröffentlicht hat, von denen zwei verfilmt wurden.

Sie kennen Gregor Dorfmeister nicht? Verzeihung, auf seinen Büchern steht auch ein anderer Name. Er schrieb unter dem Pseudonym Manfred Gregor. Seine Bücher heißen »Die Brücke« (München 1958, 2008 als cbt-Taschenbuch wiederaufgelegt), »Das Urteil« (München, 1960) und »Die Strasse« (München, 1961). Den Film »Die Brücke« kennen Sie sicher alle oder haben zumindest davon gehört. Der Film zum Buch das Urteil wurde unter dem Titel »Stadt ohne Mitleid« (Town Without Pity) mit Kirk Douglas, Barbara Rütting und der jungen Christine Kaufmann in Forchheim und Bamberg gedreht.

In »Die Strasse« schildert Dorfmeister die Leere und Ziellosigkeit von Jugendlichen, die sie in die Kriminalität führt. Dass die Nachkriegsgesellschaft, die ihre Schuld aus der Zeit des Nationalsozialismus gerne verdrängte und alten Tätern neue Chancen, den Heranwachsenden aber keine echten neuen Ziele bot, davon nichts wissen wollte, ist bekannt. Ein Thema also, das man Anfang der 1960er Jahre gerne unter den Tisch kehrte. Ein Thema auch, das heute mit etwas anderen Vorzeichen wieder aktuell ist. Gregor schreibt spannend und muss sich vor keinem Fatzke-Thriller und keinem Schmuddelbuch verstecken. Suchen Sie dies Buch und verschenken Sie es. Riskieren Sie irritierte Blicke und wappnen Sie sich mit einer guten Begründung. Ein paar Ansätze dafür haben Sie hoffentlich in diesem Beitrag gefunden.

AltenKram

Dorfmeister alias Gregor wurde 1929 geboren, besuchte die Oberrealschule in Bad Tölz, wurde 1945 als 16jähriger zum Volkssturm einberufen und machte 1946 sein Abitur. Er absolvierte ein Volontariat bei einer Münchner Tageszeitung, war Redakteur des Münchner Merkurs und leitete später das Lokalblatt Tölzer Kurier. Er engagierte sich neben seiner journalistischen Arbeit in der »Lebenshilfe« für Behinderte und lebt heute im Ruhestand in Bad Tölz. 1981 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Und noch etwas: Erzählen Sie nichts vom Christkind. Diese Mär ist noch schlimmer als die vom Weihnachtsmann. Einzig den Knecht Ruprecht lasse ich gelten – aber ohne Rute. Die haben ihm böse Menschen angehängt, ohne dass er sich dagegen wehren konnte.

Bis zur nächsten Geschenkempfehlung, Ihr

Horst-Dieter Radke

PS: Kaufen Sie besser gleich zwei Exemplare von »Die Strasse«. Eins für sich.

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