Notate von der Katz

19. Abrüll 2016, Dinstich

Der Frost hat sich die Nacht um andere geschert. Die Nellikatz will schon raus um halb acht, zur Kellertür, und wieder rin zum Poofen, da is der Blaumann grad los zum Malochen. Im i-Buch gelesen, ‘nen eigenen Text. Zum Fürchten viele Fehler. Das leg ich weg und les von der Regenkatz. Um die Mittagsstunde, ich schnibbel grad den Obstsalat, kommt die Nellikatz aus dem Schlafkabuff und klagt. Will raus in den Abrüll, in der Wiese lauern uff Mäuse, nur die Lauscher überm Gras. Ich dann ruff in den Hain, die Buchen beim Ausschlagen wortknipsen. Die Tagetes auf dem Fensterbrett im Schreibzimmer sind auch schon wild auf draußen. Dürfen sie aber nich. Abrüll, Abrüll, der macht, was er wüll. Der Himmel hat grau heut und Löcher drin wie’n rostiger Blechdeckel; und nächste Woche soll’s schnein. Der Blaumann kommt früh heim. Er kricht Pizza und Latch, die Nellikatz geht leer aus. Kein Frischfleisch heut. Im Fernsehen gibt’s Fußball am Abend. Die Nachrichten bleiben aus. Kann nicht mehr hingucken bei all dem Ungerechten. Da schäm ich mich und will verschwinden. Auf den Mars. Die Nellikatz juckt das nicht. Die pooft schon wieder im Schlafkabuff.

So ähnlich könnte eines dieser Notate lauten, würde Sarah Kirsch noch leben und das im Waldhessischen, nicht in Dithmarschen, wo sie zuletzt gewohnt hat. In Wahrheit klingen ihre Notate ganz anders, schließlich war sie eine der ausgezeichnetsten Poetinnen unserer Zeit – und ich muss mir diese Nachahmung zu recht als Anmaßung ankreiden lassen.

Ihre ‚Regenkatze‘ gehört zu meinen Lesefavoriten, die ich immer wieder aus dem Regal hole, um mich an ihrer Wortkraft zu erfreuen. (Das Wort ‚Wortgewalt‘ vermeide ich, es ist mir zu martialisch.) Vom ‚Nebelparder‘ ist die Rede, wenn sie von ihrer Emily schreibt, die durchs Gras steift und mit nassem Bauch nach Hause kommt, sich putzt und dabei viel zu erzählen hat. Sarah Kirsch notiert
* Erinnerungen an ihr Leben und ihr Arbeiten als Schriftstellerin in der DDR,
* Landschaftsbeobachtungen und Wetterphänomene,
* ihren Tag als Autorin mit Lesungsanfragen, Besprechungen mit Radiomachern, anderen Autoren,
* welche Bücher ‚die Amazonen‘ ihr bringen,
* was sie liest (von Proust bis Harry Potter) und
* welche Musik dabei das Haus erfüllt,
* Weltnachrichten in ganz eigener Lakonie und Kommentare dazu („Eine Krähe hackt dem Schewardnadse sein Auge nicht aus“).
Mal ist das Klo ‚kapores‘, mal geht sie ‚spazoren bis zu den Azoren‘ oder zum ‚Glatzenschneider‘, sagt den Nachbarskühen guten Tag oder schaut aus dem Schreibzimmer, wo Meisen, Amseln und Laubsänger sich in der Glyzinie tummeln, telefoniert mit dem ‚blauen Mauritius‘ in der ‚Luxusburg‘ oder schleift den Strandkorb zur Scheune.

Alltäglichkeiten, möchte man meinen. Aber wie so oft: die Mischung macht’s. Und der Ton. Wetter und Weltgeschehen in berlinernder Poesie. Samt Kuhglocke, mit der sie nach der Katze läutet.

Ich hielt das Buch zum ersten Mal in Kiel in der Hand, in der Unibibliothek, da arbeitete ich noch als Bibliothekarin und habe eben jenes Buch katalogisiert. Dass ich es aufblätterte und anfing, darin zu lesen, erwies sich als fatal. Für meine Bibliothekarinnenkarriere, nicht für mich. Nach der Lektüre war mir klar: So will ich irgendwann leben. Nicht unbedingt in der Einöde Dithmarschens, aber mit Tagen, wie Sarah Kirsch sie beschreibt. Bücher lesen, selber welche schreiben, den „Buchmarkt“ im Radio hören, mir von den Amazonen Lesenachschub schicken lassen und um mich herum das Land, wo man das Wetter noch unmittelbar spürt, wenn der Wind am Gebälk rupft und der Hagel die Salatblätter locht. Mit Hund, dachte ich. Ich hasste Katzen. Damals störten die Viecher über mir meinen Schlaf empfindlich, wenn sie nachts durch die Wohnung tobten.

Und heute? Lebe ich so. Oder so ähnlich. Ohne Bibliothek. Ich verzichte auf Nachrichtengedöns und Dauermusikbeschallung. Aber wie bei Sarah Kirsch gibt es jetzt eine Katze, die manchmal eine Regenkatze ist wie die Emily im Buch.

Es gibt weitere Notatesammlungen dieser Art von Sarah Kirsch, teils aus dem Nachlass herausgegeben. Ihre Gedichte habe ich bis heute nicht gelesen, dafür tauche ich ab und zu ab mit der Regenkatze.

Vielleicht möchten Sie das auch mal probieren? Dann loofen Sie doch mal mit Sarah Kirsch durch Dithmarschen. Aber vergessen Sie die Gummistiefel nicht.

* Regenkatze (nur noch als E-Book im Neubuchhandel)
* Juninovember
* Märzveilchen
* Krähengeschwätz  (nur noch als E-Book im Neubuchhandel)

PS: Sarah Kirschs ‚Regenkatze‘ war nicht dafür verantwortlich, dass ich meinen Beruf aufgab. Sie hat mir nur die Entscheidung erleichtert, wie ich nach dem ‚Ende‘ leben wollte.

 Ihre Andrea Gunkler

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Ein Gedanke zu „Notate von der Katz“

  1. Eine tolle Lektüreanregung, nicht nur für Regentage. Ergänzend ist noch zu sagen: Erstens gibt es die „Regenkatze“ und das „Krähengeschwätz“ nicht nur als E-Book sondern auch antiquarisch, zweitens lohnen auch die Gedichte von Sarah Kirsch und drittens gibt es noch die fünfbändige Werkausgabe und viertens ist so ein schöner Blogbeitrag am Morgen genau der richtige Start in den Tag.

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