On est ensemble – Corona im Senegal

Es ist still geworden in Dakar. Der Muezzin ruft nicht mehr mehrfach am Tag zum Gebet, nur zwei Mal am Tag meldet er sich über Lautsprecher, um die Gläubigen daran zu gemahnen, das Beten nicht zu vergessen, auch wenn sie dazu nicht mehr in die Moschee gehen dürfen. Es sind sehr viel weniger Fußgänger und Autos unterwegs als sonst. Einige Geschäfte machen gar nicht mehr auf, andere nur noch wenige Stunden, aber die, die noch halbwegs normal geöffnet haben, schließen kurz vor 20 Uhr,  dann beginnt die Ausgangssperre, die bis morgens um sechs dauert. Den Strand, an dem ich vor zwei Wochen noch meinen Weg zwischen Fußballspielern, Schwimmern, anderen Sportlern und Gästen der Strandbar im Slalom nahm, haben Hunde erobert. Herrschaftlich liegen sie in der untergehenden Sonne und heben nicht einmal den Kopf, um die Spaziergänger zu grüßen, die ich an einer Hand abzählen kann.

Ich habe mich dazu gezwungen, jetzt, am späten Nachmittag, einmal aus dem Haus zu gehen, fort von meinem Computer, an dem ich den ganzen Tag wie festgetackert saß und im Zehnminutentakt die Facebook-Seite des Auswärtigen Amtes aktualisierte, auf der die Rückholaktionen für gestrandete deutsche Urlauber angekündigt werden. Heute Myanmar, Bahamas, Jamaica. Senegal ist noch nicht dabei, wir sind offenbar nur wenige Deutsche hier, da lohnt sich kein Flieger. Und jene, die mit Urlaubern aus Südafrika oder Namibia in Richtung Europa unterwegs sind, sind vermutlich zu voll, um einen Zwischenstopp in Dakar einzulegen. Ich bin auf die Rückholaktion angewiesen, denn der Flughafen von Dakar ist seit dem 19. März für Linienflüge gesperrt, die Ankündigung dazu kam 30 Stunden vorher, zu kurzfristig, um darauf noch mit einer Ausreise reagieren zu können. Einzig Air France bekommt offenbar noch Sondergenehmigungen – Franzosen stellen hier die größte Gruppe von Touristen – aber mein Versuch, mit ihnen wenigstens bis Paris zu kommen, ist gescheitert.

Als ich vor etwa sieben Wochen hier ankam, schien es mir die ganz große Freiheit zu sein: Noch nicht zu wissen, wann ich nach Deutschland zurückkehren würde, und das irgendwann später zu entscheiden. Nun weiß ich noch immer nicht, wann ich zurückkehren werde, aber ich kann es nicht mehr selbst entscheiden. Das verändert alles. Die Freiheit ist zu einer Art Gefängnis geworden.

Zu einem vergleichsweise angenehmen, wenn ich die Berichte gestrandeter Urlauber in anderen Ländern lese und die Fotos vom Schneeregen betrachte, die mir Freunde über Whatsapp von zu Hause schicken. Hier scheint die Sonne, wir haben um die 25 Grad und die Menschen sind freundlich. Der Obsthändler um die Ecke gibt mir einen Rabatt (ich verzichte darauf, darüber nachzudenken, ob der Rabatt auf einen „Weißenpreis“ gegeben wird), die wenigen Kinder, die noch auf den staubigen Wegen spielen, grüßen mich nach wie vor mit einem höflichen und dabei nach Aufmerksamkeit heischenden „Bonjour“, und ich muss lächeln, wenn ich ihnen antworte. Nur spontan die Hand geben sie mir nicht mehr.

Manchmal gehe ich auf einen Kaffee zu Khady. Dann sitzen wir mit ihren spielenden Kindern vor dem Fernseher und verfolgen die Nachrichten. Noch gibt es im Senegal weniger als 200 Coronafälle, von denen immerhin 40 auch schon wieder genesen sind. Einmal hält Präsident Macky Sall eine Ansprache und steht dabei vor einem Waschbecken, an dem er zum Abschluss seiner Rede demonstriert, wie man sich richtig die Hände wäscht. In dem folgenden Musikclip widmen sich etwa fünfzehn verschiedene Sänger des Landes in kurzen Sequenzen unterschiedlicher Musikrichtungen dem Thema Händewaschen. Khady sagt, es bricht ihr das Herz für Afrika, das sowieso schon arm ist. Ich habe sie noch nie so niedergeschlagen erlebt. Auch für sie persönlich hat diese Krise Auswirkungen, sie vermietet Appartements und Zimmer hauptsächlich an Europäer. Die nun nach und nach abreisen. Und niemand weiß, wann sie wiederkommen. Für einen Moment vergesse ich mein Gefühl von Gefangensein und sage mir, wie privilegiert ich bin: Ich habe eine – noch immer recht gut gedeckte – Kreditkarte in der Tasche, einen deutschen Pass und ein Heimatland, das gerade Rettungsschirme für Menschen in Khadys Situation spannt. Und mich nach Hause holen wird. Selbst wenn es bis dahin noch zwei Wochen dauern sollte.

Als ich mich verabschiede, um vor der Ausgangssperre in meinem Quartier zu sein, spricht sie mir Mut zu, ich werde sicher bald nach Hause können. Und so lange ich hier bin, soll ich mich nicht sorgen – sie und ihr Mann sind für mich da. „On est ensemble“, sagt sie. Wir sind zusammen. Es gibt schlimmere Gefängnisse. Trotzdem hoffe ich, bald zu Hause zu sein.

Ihre

Dorrit Bartel

PS. Just am Tag nach Verfassen dieses Textes kam die Nachricht, dass das Auswärtige Amt auch die gestrandeten Urlauber aus dem Senegal zurückholt. Inzwischen sitze ich in freiwilliger Quarantäne in Berlin – symptomfrei.

Teilen: