Rafik Schami in Lauda, 24. Februar 2016

Sophia – oder der Anfang aller Geschichten

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Die Abenddämmerung senkt sich langsam auf die Stadt. Die Schwüle des Tages hält sich noch, eine Ahnung von Abkühlung ist aber schon zu spüren. Im Basar ist es ruhiger geworden. Die Läden und Verkaufsstände sind geschlossen, die offenen Händler haben ihre Waren bereits weggeräumt. Auf dem Platz im Mittelpunkt, in den alle Gassen des Basars münden, hat sich der Märchenerzähler niedergelassen und wartet. Nach und nach kommen die Leute, groß und klein, und setzen sich um ihn herum. Als er zu erzählen beginnt, gibt es plötzlich nur noch ihn. Die Menschen nehmen nicht wahr, wie sich die Nacht herabsenkt, wie die Sterne über ihnen zu leuchten beginnen, der Mond seine Wanderung antritt.

Wenig anders ist es, wenn Rafik Schami anfängt zu erzählen, etwa in Lauda, im Taubertal oder auch woanders. Es wird als Lesung angekündigt, aber er nimmt nicht einmal ein Buch oder ein Skript in die Hand, um davon abzulesen. Der Autor erzählt frei. An diesem Abend aus seinem neuesten Buch »Sophia oder Der Anfang aller Geschichten«. Aha, hatte ich gedacht: etwas Philosophisches. Die erste Ankündigung verwirrte mich total. Es sei ein Thriller, bekannte der Autor. Ein Thriller? Ich kannte ihn als Erzähler durchaus spannender Geschichten, aber alles, was ich bislang von ihm gelesen (oder gehört) hatte, war weit entfernt von dieser Genreliteratur. Und das, was wir an diesem Abend zu hören bekamen, zeigte auch, dass mit diesem Buch die Definition des Begriffs »Thriller« erweitert werden muss. So einen Thriller hat es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bislang noch nicht gegeben. Ich überlege es mir im Allgemeinen immer, ob ich mir das Buch zu einer Lesung kaufe, falls ich es noch nicht besitze. Meistens gehen ein, zwei Tage ins Land, bis ich mich entschließe, den Kauf zu tätigen oder ihn zu unterlassen. An diesem Abend stand ich in der Pause auf, ging zum Büchertisch und kaufte das Buch.

 

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Die Geschichte spielt in Homs, Damaskus und Beirut, aber auch in Deutschland und in Italien. Im Mittelpunkt stehen zwei starke Frauen: Sophia und Amalia. Alle männlichen Figuren sind schwächer und werden teilweise von diesen Frauen gelenkt, oder zumindest so betreut, dass sie eigenständig handeln können. Selbst als das Problem, das Thrillerelement dieses Romans, aufkommt, ist es Sophia, die die Aktivität ergreift und den nötigen Widerstand liefert, damit der Verfolgte nicht gleich unterliegt.

Souverän, niemals den Faden verlierend, selbst wenn es nötig ist, die verschiedenen Handlungsfäden aufzudröseln, spricht Rafik Schami frei, so als wäre er in einem Gespräch, dabei immer in Bewegung, alles durch Gesten unterstreichend, bei denen der ganze Körper eingesetzt wird und besonders die Arme und Hände. Das machte es übrigens auch schwer, ohne Blitz ein scharfes Foto von ihm bei seinem Vortrag zu schießen. Irgendetwas war ja immer in Aktion, wenn nicht der Kopf, dann die Hände oder eben die ganze Person selbst. Passgenau leitet er mit einem Cliffhanger die Pause ein, setzt danach mit einem weiteren Erzählstrang wieder an, beendet pünktlich, um nach dem lang anhaltenden Applaus noch eine Zugabe zu geben. Er erzählt in zwei Minuten, warum in den arabischen Ländern Krimis keine Chance haben.

Schon vor Beginn der Lesung standen lange Schlangen an, die sich Bücher von ihm signieren ließen, frisch am Büchertisch gekaufte und auch mitgebrachte. Das ging in der Pause so und auch nach dem Ende so weiter. Zwischendrin sprang der Autor schon mal von der Bühne, um einem Kind, das er unter den überwiegend erwachsenen Zuhörern erkannt hatte, die Hand zu schütteln. Eröffnet wurde die Lesung von der Buchhändlerin aus Lauda. Auf Arabisch, um die anwesenden syrischen Zuhörer besonders zu begrüßen. Auch Rafik Schami hielt neben der deutschen Eröffnungsrede eine Arabische.

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Ein Abend, der sich gelohnt hat. Einer von denen, die ich nicht vergessen werde, die noch lange nachklingen. Und die Erneuerung eines Versprechens an mich selbst: keine sich mir bietende Gelegenheit, Rafik Schami erzählend zu erleben, ohne zwingenden Grund ausfallen zu lassen.

Ihr Horst-Dieter Radke

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