Reise zum Mittelpunkt des Vernianismus
Voyages extraordinaires waren es nicht unbedingt, die rund 30 Mitglieder aus ganz Deutschland auf sich nehmen mussten, als sie vom 5. bis 7. September 2025 nach Bremerhaven aufbrachen, um am Stammsitz des Vereins das 25jährige Jubiläum des Jules-Vernes-Clubs feierlich zu begehen. Der Club zählt im Moment 150 Mitglieder.

Viele Vernianer reisten standesgemäß mit der Eisenbahn an oder, wenn sie pünktlich sein wollten, mit dem Ballon. Das Event wurde vom langjährigen Vorsitzenden Bernhard Krauth organisiert, unter dessen Peitsche (seine Formulierung) der Club sich im Laufe der Jahre zu einer international anerkannten literarischen Gesellschaft mit wissenschaftlichem Anspruch gemausert hat. Dies zeigt sich vor allem an dem halbjährlich erscheinenden Vereinsmagazin „Nautilus“, benannt nach dem Unterseeboot des weltscheuen Kapitäns Nemo in „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ (1869/70) und der „Geheimnisvollen Insel“ (1874/75). Das Magazin bietet mit seiner einzigartigen Mischung aus wissenschaftlichen Artikeln, Buch-, Zeitschriften- und Filmbesprechungen, locker aufbereitetem Fach- und Spezialwissen, der beliebten Leserkolumne „Wie ich zu Jules Verne gekommen bin“ und einem wirklich extraordinaire sehenswerten Layout nicht nur für den eingefleischten Vernianer gepflegteste Information und Unterhaltung. Ich war Mitarbeiter der Redaktion und kann versichern, mit wie viel Mühe, Sachverstand und nie ermüdendem Engagement die einzelnen Hefte konzipiert und lektoriert werden. Dies natürlich auch unter der sorgfältigen Leitung des großen Vorsitzenden Bernhard Krauth, dessen Beruf – das wirkliche Leben ist nicht mehr als eine Kopie eines Jules-Verne-Romans – Hafenlotse in Bremerhaven ist. Es gibt nur drei Städte auf der Welt, die noch Hafenlotsen beschäftigen: Hamburg, Yokohama und Bremerhaven, das an diesem Wochenende zum heimlichen Mittelpunkt des Vernianismus wurde.
Programmablauf des Jubiläumstreffens des Jules-Verne-Clubs im September 2025:
Am Freitag 17.30 Uhr Treffen im Foyer des Seemannsheims Bremerhaven. 18.30 Uhr Abfahrt zum Essen im Fischereihafen ins Restaurant „Dock IV“. Ein Dock ist eine Werftanlage zur Trockenlegung eines Schiffs zwecks Reparatur oder Wartung. Ich war dabei und kann bezeugen, dass bei der Fischmahlzeit kein Vernianer trockengefallen ist. Vorher aber machten wir vor dem Museumsschiff „Gera“, einem Fischdampfer aus der DDR, ein Gruppenfoto mit wie viel Damen? (Auflösung siehe unten.)
Beim Essen lernten Eva und ich Ines und Thomas aus Worpswede in der Nähe von Bremen kennen. Beide sind in der DDR aufgewachsen und leben seit der Wende im Westen. Thomas ist ein viel versierterer Vernianer als ich, und – wie unterschiedlich waren die Lesebedingungen in unserer Jugendzeit! In der DDR hatten die Leute immer genug Geld, aber wegen knapper Auflage waren Verne-Romane nur schwer zu ergatternde Bückware. Bei Horten dagegen stapelten sich die Romane in den Regalen, aber für mich unerreichbar, weil häufig das nötige Taschengeld fehlte.
Am Sonnabend trafen wir uns nach dem Frühstück im Seemannsheim um 10.30 Uhr am Anleger zur Hafenrundfahrt Industriehäfen auf der MS „Hein Mück“. Schiffe haben ein weibliches Geschlecht, wurden wir fachkundig vom Bootsmann belehrt, deshalb heißt es die „Schulschiff Deutschland“. Auch Cheflotse Krauth meldete sich zu Wort und erklärte, dass er Autotransporter grundsätzlich rückwärts durch die Schleusen bugsiere, weil die Schiffe mittlerweile so groß geworden sind, dass man von der Brücke aus die Schleuseneinfahrt (die Seestädter nennen diese „Binnen-“ oder „Außenhaupt“) nicht mehr sehen kann.
Nach dieser seemännischen Exkursion stand die Mittagszeit zur freien Verfügung, aber viele Vernianer blieben zusammen, selten genug trifft man auf andere mit derselben DNA. Viele nahmen auch die Gelegenheit wahr, einen Abstecher in Bernhard Krauths private Verne-Sammlung zu machen und einfach aufs herzlichste miteinander zu fachsimpeln. Um 17.00 Uhr rief wieder der Ernst des Lebens. Die Mitgliederversammlung des Clubs fand im Seemannsheim statt, auf der der neue alte Vorstand nebst Vorsitzendem wiedergewählt wurde.
Danach wurden wunderbare Vorträge gehalten. Mitglied Andreas Fehrmann zeigte Fotos von damals und heute aus dem Haus von Jules Verne in Amiens. Als Gimmick verteilte er selbstgemachte Postkarten mit dem Vernischen Arbeitszimmer als Motiv.

Maison de Jules Verne, 2 Rue Charles Dubois, Amiens. Rekonstruktion. (Foto von Andreas Fehrmann)
Anschließend erklärte uns Mitglied und Schriftsteller Paul Schaffrath, was es heutzutage braucht, um einen Verne-Roman zu schreiben: Man nehme einen spannenden Plot, zum Beispiel die Rückkehr des Helden, wie sie seit Homers „Odyssee“ bekannt ist, kombiniere die Heldenreise noch mit einer Zeitreise, besorge sich anhand von Originalzeitungen Informationen aus erster Hand über die Weltausstellung in London 1851, präsentiere eine außergewöhnliche, aber reale Technologie wie die über atmosphärischen Druck angetriebene atmosphärische Eisenbahn und führe alles mit einem gekonnten Erzählen zusammen: Fertig ist der wunderbare Roman „Banditen in London“ von Paul Schaffrath.
Nun hatten wir uns den Ansturm auf das Buffett redlich verdient. Musikalisch wurden wir von der deutsch-französischen Bernard-Six-Band bestens unterhalten, zu der waschechte Vernianer gehörten (herzliche Grüße an Martina und Bernard!) Sie erfreuten uns mit französischen Chansons, natürlich mit „Les Champs-Élysées“, aber auch „Heute hier, morgen dort“ von Hannes Wader fehlte nicht. Dann: Eine fünfte Dame, Begleiterin Uta, stieß noch zu uns, womit das obige Zahlen-Rätsel gelöst ist. Weiteres Highlight: Uta interpretierte den Verne-Titel „Die Leiden eines Chinesen in China“ (1879) mit einem freudespendenden blauen Qipao-Kleid. Mitglied Thorsten Braatz, ihr Ehemann, ist langjähriger Vorsitzender des Freundeskreises Science Fiction Leipzig e.V., der uns zuvor in mehreren Fernsehausschnitten das Wirken seines Vereins vorgestellt hat. Ich stelle einfach fest, ohne es zu bewerten: In dieser Kulturveranstaltung dominierte zahlenmäßig das starke Geschlecht.
Alles in allem war es ein aufregendes, bereicherndes und würdiges Treffen der Jules-Verne-Fans zum 25jährigen Bestehen des Clubs. Wir sind gespannt, welche Voyages extraordinaires aus den neugeknüpften Verbindungen und gegenseitigen Anregungen in der Zukunft vom Jules-Verne-Club noch zu erwarten sind.
Ihr Jürgen Block
Motto fürs Leben: Beweglich im Beweglichen.
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