Reise zu Karl Island

Vor kurzem fand ich mein Zeugnis der ersten Schulklasse. Mit inzwischen ganz blass gewordener Tinte hatte eine in meiner Erinnerung inzwischen gleichfalls ganz blass gewordene Lehrerin geschrieben: „Die Schülerin ist aufgeweckt und liebenswürdig, träumt aber leider noch schrecklich viel. Vermutlich wird sich letzteres mit dem Älterwerden ganz von selbst geben.“

Es hat sich nicht gegeben, aber ich war auch – wie man so schön sagt – familiär vorbelastet. Wenn mein Vater mit seinem Bruder ein paar Tage verreiste, dann erzählte er mir immer, er sei mit seinem Schiff, der Wilden Uschi, auf Piratenjagd gewesen. Zum Beweis seiner seefahrerischen Erfolge brachte er mir aus La Tortuga gern in fremder Sprache bedruckte Süßigkeiten oder andere Kleinigkeiten mit.

Aber davon abgesehen, bin ich niemals in Gedanken verreist. Ich bin kein großer Weltenbummler oder zumindest war ich es nicht, bis mein Sohn Karl mich vor einigen Wochen fragte, ob ich mit ihm nach Karl Island fahren wolle. Dort gäbe es echte noch lebende Dinos. Ich war eher zurückhaltend; Dinos sind mir persönlich zu groß. Da half es auch nicht, dass mein Sohn mir versicherte, sie wären zahm.

Überhaupt muss Karl Island sehr schön sein, mein Sohn berichtet aktuell viel davon.  Dort gibt es Milchschnitten und Gummibären, von denen man essen könne so viele man wolle – ganz ohne drohendes Bauchweh. Und Fernsehen, das ist auf jener bemerkenswerten Insel sogar Pflicht! Wer nicht täglich mindestens zwei Folgen „Dinotrux“ und zwei Folgen „Pettersson und Findus“ ansieht, der kommt ins Gefängnis. Ich glaube, das Zuchthaus in Karl Island ist recht voll – eingesperrt wird dort zum Beispiel auch, wer während wichtiger Telefonate nicht im Hintergrund singt oder nach dem Essen noch sitzen bleibt, bis der Rest der Familie aufgegessen hat. Es gibt aber auch noch schlimmere Strafen dort.

„Wer bei Tageslicht ins Bett geht, der wird erschossen!“, belehrte mich mein Sohn und das Katzenfutter klein drückend fuhr er zufrieden fort: „Mit einer Rotflinte [sic] wird man erschossen und danach wird man zu Katzenfutter. Ja, ja so ist das auf Karl Island. Komm, Jacky, Jacky, Abendessen!“

Ich hoffe doch sehr, dass es sich mit dem Älterwerden von selbst gibt.

Ihre Joan Weng

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