Nach drei Tagen auf der Insel trennen sich unsere Wege – Daniel und David fliegen zurück nach Jakarta, ich nach Bali. Es gibt einige Gründe, nach Bali zu reisen: Von Lombok aus ist es nur eine Stunde Flug entfernt und ich habe noch fünf Tage Indonesien vor mir. Von Bali schwärmten ja auch gerade Maya und Paulus und sowieso viele Leute. Und ich habe Vicky Baums „Liebe und Tod auf Bali“ im Gepäck – kann es also am Originalschauplatz lesen. Trotzdem bin ich ein bisschen skeptisch – wie immer, wenn zu viele Leute etwas mögen. Außerdem war Bali in meinem Kopf immer ein Reiseziel für Reiche. Mir scheint, ich schleiche mich jetzt in ein Umfeld, in das ich nicht gehöre. So mit einer Portion Skepsis bewaffnet, lande ich in Denpasar, wo schon das Terminal in Form eines Tempels gebaut ist. Angeblich gibt es auf Bali mehr Tempel als Wohnhäuser und bei der Fahrt nach Ubud bin ich mir manchmal nicht sicher, ob ich gerade an einem Tempel oder einem Wohnhaus vorbeifahre. Auch die Tür zu meinem Hotelzimmer erinnert an einen Schrein. Es scheint, die Grenzen zwischen Tempel und Nutzgegenstand sind hier fließend.
Das Zimmer befindet sich mitten in Ubud, aus dem Haus neben dem Hotel klingt jeden Abend ein Gamelan-Orchester. Der bekannte Markt von Ubud ist nur 10 Minuten Fußweg entfernt und zehn Minuten Fußweg in die andere Richtung entfernt liegt der heilige Affenwald, den ich bei strömendem Regen besuche. Unter einem Regendach suche ich Zuflucht, zögernd, denn hier sitzt bereits einer der Javaneraffen und verspeist eine Süßkartoffel. Ich knie mich zu ihm, er schaut auf und setzt sich nach einem kurzen Zögern samt seiner Süßkartoffel auf meine Schulter. Dies ist vielleicht der schönste Moment auf Bali – der Affe und ich, gemeinsam vor dem Regen geschützt und voller Vertrauen zueinander.
Am Nachmittag bin ich der Tempel überdrüssig, alles kommt mir ein wenig vor wie mit Zuckerguss überzogen – zu süß, zu viel. Auch zu viele Touristen. Natürlich ist das eine fragwürdige Klage. Mich irritieren aber nicht nur die anderen Touristen, sondern auch die Einheimischen, von denen ich mich nur als potentielle Geldquelle wahrgenommen fühle – vielleicht bin ich nach meinen Begegnungen zuvor einfach verwöhnt.
Jedenfalls lasse ich mich zwar widerstandslos zu einer Silberschmiede sowie in ein Künstleratelier fahren, aber ich kaufe nichts und registriere, dass der Fahrer anschließend weniger Interesse an einem Gespräch mit mir hat. Die Tour über die Insel mit Stopps an mehreren Tempeln, dem Vulkan Gunung Batur und einer Kaffeeplantage nenne ich ob der aufdringlichen Verkäufer die balinesische Variante einer Kaffeefahrt. Immerhin beschert die mir einige atemberaubende Bilder sowohl auf meiner Kamera als auch für meine Erinnerungen in Gedanken.
Abends setze ich mich auf die Veranda meines Hotelzimmers, erfreue mich am Gamelan-Orchester und widme mich Vicky Baum. Der Roman „Liebe und Tod auf Bali“ lässt eine Liebesgeschichte vermuten, beschreibt aber das Leben in einem balinesichen Dorf Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Holländer versuchten mit aller Macht, sich die Insel untertan zu machen, was ihnen schließlich auch gelang. Dafür zahlten die Balinesen einen hohen Preis. Unversehens habe ich statt der leichten Lektüre, die ich mir vorgestellt hatte, eine Geschichte von Verlust und Krieg im Gepäck. Die poetische Sprache des Romans passt unbedingt zu dieser Insel und durch das ganze Buch ziehen sich Geisterglaube, Rituale, Opfergesten, Gebete. Ich finde in dem Buch die Momente wieder, die ich auch auf der Insel vielfach gesehen habe: Wenn eine prächtig bunt gekleidete Frau auf einem Altar Blumen oder Reiskörner ablegt, dazu ein Räucherstäbchen anzündet und Gebete murmelt.
„Eat, pray, love“ von Elisabeth Gilbert wäre eine leichtere Lektüre, aber das habe ich nicht dabei. Ich hatte – um ehrlich zu sein – bislang nicht einmal davon gehört. Daniel erzählte mir von der wahren Geschichte einer Amerikanerin, die nach einer Trennung auf Reisen geht, sich in Italien den Genüssen des Essens hingibt, in Indien vor allem meditiert und auf Bali ihre große Liebe trifft. Das Buch ist sogar mit Julia Roberts verfilmt worden, trotzdem ist es völlig an mir vorbeigegangen. Eine heutige Recherche ergibt, dass sich das Traumpaar aus dem Jahr 2007 inzwischen getrennt hat und mir ist, als habe sich das Buch damit überholt. Was womöglich ungerecht ist.
Nach zweieinhalb Tagen auf Bali fliege ich leichten Herzens zurück nach Jakarta. Das Haus von David und Daniel ist inzwischen zu etwas wie meinem indonesischen Zuhause geworden. Für meinen letzten Abend laden wir Tetra, Iwan und Paulus zum Barbecue ein. Es ist, als würde ich Freunde wiedertreffen. Meine deutschen und indonesischen Freunde unterhalten sich angeregt, was mich sehr freut und ich denke daran, wie sehr das Bild eines Landes von den Menschen geprägt wird, die ich dort treffe. Das können literarische Figuren sein, doch nichts ersetzt einen solchen Abend mit Gesprächen, Essen und Trinken. Jetzt weiß ich wieder genau, wofür ich mich jedes Mal trotz aller Zweifel wieder ins Flugzeug setze.
Iwan lässt übrigens noch einen Aufkleber da, bevor er geht.
Ich kann ihm nun zustimmen und danke allen, die zu meiner unvergesslichen Reise beigetragen haben.
Terima kasih, Daniel und David. Terima kasih, Indonesien.
Fernwehgesättigte Grüße
Ihre Dorrit Bartel
Liebe Dorrit, bei uns scheint heute die Sonne, wolkenloser Himmel. Fast wie in Indonesien. Nur war es heute Morgen 18 Grad minus! Da kann ich mir beim lesen Deiner schönen Reisebeschreibung nur warme Gedanken machen. Viel gesehen, viel geschrieben, vielen Dank für die vielen Impressionen, die Du hier mit uns teilst.
Ganz neidisch bin ich beim lesen geworden,das Du abends ein Gamelan-Orchester nebenan hattest. Die Erfinder des Hang war von dem Instrument inspiriert. Live habe ich sowas nie gesehen oder gehört. Muss ich mal nach Indonesien,wa.
Bis demnächst Amos
Lieber Amos,
ja, das Gamelan-Orchester war echt etwas Besonderes. Am Anfang habe ich gefürchtet, es würde mir auf die Nerven gehen, aber bald habe ich es sehr gemocht.
Schön, dass Du die Reise mit mir genießen konntest.
Ja, Indonesien ist eine Reise wert, es muss ja nicht unbedingt Jakarta sein 😉
Liebe Grüße ins Taubertal, aus Berlin, wo es mal wieder seit Tagen überhaupt keine Sonne gibt. Ziemlich grau hier.
Dorrit