Richter Di – der erste Detektiv?

Die Gelehrten streiten sich ja darüber, wann und von wem der Kriminalroman erfunden wurde. Einig sind sich fast alle darin, dass die Entstehung im 19. Jahrhundert mit der Erfindung der Detektivgeschichte zu verorten ist. Tatsächlich greift man damit viel zu kurz. Schon die Chinesen kannten dieses Genre. Der Sinologe Robert van Gulik übersetzte im Jahr 1949 einen klassischen chinesischen Kriminalroman des anonymen Autors Dee Gong: »Di-gung-tschi-an« zunächst ins Englische. Die deutsche Ausgabe erschien 1960 beim Verlag Die Waage Zürich unter dem Titel »Merkwürdige Kriminalfälle des Richters Di«. Später erschienen die Romane beim Diogenes Verlag.

Richter Di ist eine historische Gestalt, nämlich »Di Renjie«, die in der Zeit von 630 – 700 – in der Tang-Dynastie – lebte. Er wurde nach seiner Tätigkeit als Richter Staatsminister und Gegenspieler der Kaiserin Wu Zhao. Überliefert ist von seiner Richtertätigkeit kaum etwas, sie muss aber wohl bedeutend gewesen sein, sonst wären keine Richter-Di-Romane in China entstanden. Robert van Gulik gibt im Nachwort genau an, welche Quellen er für seine Übersetzung und Bearbeitung genutzt hat. Die Schriften stammen alle aus dem 19. Jahrhundert, ihnen liegen aber Quellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert zu Grunde. Diese Übersetzung – zunächst als Privatdruck erschienen – war so erfolgreich, das van Gulik weitere Richter-Di-Geschichten folgen ließ. Er bediente sich dafür bei Kriminalfällen aus der klassischen chinesischen Literatur. Er übernahm auch ein besonderes Stilmittel der chinesischen Kriminalgeschichten aus der Ming-Periode: In jedem Roman arbeitet der Richter parallel an drei Fällen, die er am Ende zur Aufklärung bringt. Sowohl die englische als auch die niederländische Ausgabe verkaufen sich gut, vielleicht auch deshalb, weil van Gulik auf Bitten des Verlegers für erotische Titelillustrationen sorgt. Auch bei den ersten deutschen Veröffentlichungen sind diese noch zu sehen, später hat Diogenes sie leider durch »modernere« Titelbild ersetzt.

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Jeder Roman ist so geschrieben, dass man ihn ohne weitere Erläuterungen lesen kann. Die Spannung überträgt sich fast umgehend auch auf Nicht-Sinologen. Jeweils am Ende eines Romans erklärt van Gulik aber vieles, was der unbedarfte Europäer nicht wissen kann. Manche Romane haben einen umfangreichen Anmerkungsanhang, für Neugierige und diejenigen, die mehr wissen möchten.

Janwillem van de Wetering, ein anderer niederländischer Krimiautor, schrieb eine Biografie über seinen Landsmann Robert van Gulik . Darin erklärt er: »Van Guliks Thriller waren zwischen 1959 und 1967 in Holland ziemlich populär, verschwanden dann aber nach und nach. Als sie in den siebziger Jahren neu aufgelegt wurden, war jeder Band ein Bestseller.« (S.109). Das war auch in anderen Ländern nicht anders, in den 1960er, 1970er, 1980er Jahren und nach 2000 wurden die Romane auch in Deutschland neu aufgelegt. Inzwischen sind sie wieder vergriffen. Im Antiquariat findet man sie noch häufig, man muss  aber suchen, um halbwegs brauchbare Exemplare zu bekommen. DIE ZEIT nahm einen Richter-Di-Roman in die Reihe »Historischer Kriminalroman« auf (Nagelprobe in Pei-tscho) und die Süddeutsche Zeitung ebenfalls in die Kriminalbibliothek (Richter Di bei der Arbeit).

Richter Di ist ein »Detektiv«, wie man ihn sich nur wünschen kann. Von Beginn seiner Karriere an kann er auf vier Mitarbeiter und Gehilfen zurückgreifen, die zwar meist ebenso wie die Leser über die Pfiffigkeit des Richters staunen, ohne die er aber manchen Fall nicht hätte lösen können. Da ist Hung Liang, der schon seinem Vater gedient hat, Tao Gan, ein ehemaliger Falschspieler und Betrüger, sowie die beiden Räuber Tischia Tai und Ma Jung, die sich mit ihren Fähigkeiten nun in den Dienst des Gesetzes stellen. Richter Di ist verheiratet – und das nicht nur mit einer Frau. Da kann der geneigte Leser schon neidisch werden, vor allem wenn er liest, dass in seinem Haushalt keineswegs der Zickenterror angesagt ist. Doch Richter Di sitzt nicht nur in seinem Amtszimmer. Er geht – auch hinaus unter die Leute, manchmal in Verkleidung, und wagt sich in abenteuerliche Situationen. Er ist auch kampferprobt und zimperlich ebenfalls nicht. Wenn die Delinquenten nicht so wollen wie er, wird schon mal gefoltert. Van Gulik weiß auch die juristischen Hintergründe aus der damaligen Epoche ausführlich zu erklären und zu begründen.

Wie jeder gute Detektiv der Literatur stirbt auch Richter Di nicht mit seinem Autor. Nach dem Tod van Guliks schrieb der französische Schriftsteller Frédéric Lenormand 15 weitere Richter-Di-Romane. In Frankreich, Spanien, Portugal, ja gar in der Tschechei kann man diese Romane lesen. Deutsche Übersetzungen gibt es aber leider noch nicht. Die Schriftstellerin Eleanor Cooney und der Sinologe Daniel Altieri haben einen Roman um Richter Di und seine Gegenspielerin Kaiserin Wu verfasst, der auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt: »Die eiserne Kaiserin – Ein Richter-Di-Roman«.

Ich kenne niemanden, der nicht nach der Lektüre des ersten Romans süchtig wurde nach weiteren. Manche habe ich inzwischen zweimal gelesen, weil die intelligente Art des Richters (und des Autors) die Spannung auch beim wiederholten Lesen nicht wegfallen lässt. Nachdem ich für diesen Artikel alle Bücher aus dem Regal geholt und vor mir ausgebreitet habe, denke ich bereits darüber nach, welches Buch ich nicht zurückstellen werde, um es bei nächster Gelegenheit erneut zu lesen.

Ihr Horst-Dieter Radke

1) Janwillem van de Wetering: Robert van Gulik – Ein Leben mit Richter Di, Diogenes Verlag, Zürich, 1990

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