Der Ruhrgebietler ist Internationalist. Warum? Er entlehnt die Benutzung des Artikels eher dem Englischen und vermeidet so die komplizierte Zuordnung des richtigen grammatischen Geschlechts.
„Ich gebe dem Jungen die Zeitung“, formuliert der des Hochdeutschen Kundige. Der Ruhrgebietler benutzt oft – wie im Englischen – einen Artikel für alle drei Geschlechter: „Ich gibb de Jung de Zeitung.“
Das funktioniert selbstverständlich auch mit dem unbestimmten Artikel „ein, eine“:
„Ich gibb de Junge `ne Zeitung“, allerdings auch mit der Variante „Ich geb de Jung `ne Appel.“ Es ist also egal, ob es die Zeitung oder der Apfel ist, der Ruhrgebietsartikel lautet in der Regel de und ‘ne.
Wie variantenreich das Ruhrgebietsdeutsche ist, zeigt sich beim letzten Beispiel: „Ich geb de Jung `ne Appel.“ natürlich mit der alternativen Formulierung „Ich geb de Jung `n Appel.“
Die Benutzung von Fremdwörtern orientiert sich im Ruhrgebiet eher am Türkischen. Hier werden nämlich Fremdwörter nicht in der Ursprungssprache belassen, sondern in die türkische Sprache integriert. Der Ruhrgebietler verfährt ähnlich.
Möchte er beispielsweise eine Pampelmuse erwerben, die landläufig mittlerweile als Grapefruit gehandelt wird, ordert der Bewohner des Ruhrgebiets eine „Grappefruit“, beim Metzger wird Corned Beef zu „Kornebäff“.
Ein ganz eigenes Vokabular erstellt sich der Ruhrgebietsinternationalist mithilfe anderer Sprachen, zum Beispiel unter Einbeziehung des Polnischen.
„Ey, du Peias, gibb mich ma de Mottek“ ließe sich übersetzen mit „Entschuldigen Sie, Herr Kollege, können Sie mir bitte den Hammer anreichen?“
Sowohl der młotek, der Hammer, als auch der pajac, der Kasper, der Spaßmacher, kommen aus dem Polnischen.
Selbst die Küche bleibt von solchen Internationalismen nicht verschont. Wenn der Ruhrgebietler also traditionelle Ruhrgebietsküche wünscht, antwortet ihm die Hausfrau in anmutigen Worten: „Dann gibbet Kappes.“
Der Begriff Kappes für den Brassica oleracea convar (oder einfach Weißkohl) entstammt, so wird vermutet, dem Lateinischen: caput, Kopf. Allerdings spricht man im Polnischen vom kapusta, das dem Begriff des Kappes auch sehr nahe kommt.
Wer jetzt sagt, dass ihm diese Theorien nicht eingängig sind, der mag mit dem Ruhrgebietler sagen: „Dat krichich nich in mein‘ Kappes“, was wiederum den Begriff Kappes mit dem lateinischen caput, dem Kopf, in Verbindung bringt.
Wir wollen uns aber hier nicht festlegen und belassen es bei der Vorstellung beider Herkunftstheorien.
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Ruhrgebietler natürlich auch über so viel Benimm verfügt, dass er auf internationalem Parkett bestehen würde.
So kann man durchaus freundliche Begrüßungsrituale hören wie: „Na Jupp, altes Aaschloch, alles klaa?“, was in der Regel mit einem ausführlichen „Muss!“ beantwortet wird.
Weicht aber der Sprecher einmal vom bekannten Ritual ab durch ein „Na Jupp, alles klaa?“, so wird er dezent auf Einhaltung des Rituals hingewiesen: „Watt denn, wohl `n feiner Herr geworden? Bin ich dich kein Aaschloch mehr wert?“
Ich verzichte nun bewusst auf entsprechende Rituale und wünsche Ihnen weiterhin einen guten Tag. Oder, wie der Ruhrgebietler gern zum Abschied sagt: „Hau rein!“
Ihr Wolf P. Schneiderheinze