Schreiben zu Musik von Amos Ruwwe
Im Erdgeschoss kruschelt die Ehefrau irgendwas in der Küche, ist aber nicht so laut. Das ist schön in unserem Haus, denkt er bei sich, groß genug, hellhörig, da fühlt man sich nie ganz allein.
„Ich schau mal welche LPs ich von Trude mitgebracht habe, ich geh mal oben bisschen Musik hören“, hat er zu Hille nach dem Frühstück gesagt. Oben standen etliche Kartons voller LPs. Trude, geht ihm durch den Kopf, kommt ja auch gleich. Wie jeden Dienstag zum Mittagessen. Fiete war derjenige, der sein ganzes Taschengeld schon, als noch in der Schule war, in Musik steckte. Aftermath von den Stones, war die erste Platte, die er gekauft hat, glaube ich, denkt sich Peter. Irgendwann so Mitte der sechziger Jahre, oder? Wir waren alle sechzehn oder so. Jedenfalls hatte ich schon eine Gitarre, Fiete kam dann irgendwie an ein altes Schlagzeug, Heiner kam auch zum Rumfrickeln mit einem gebrauchten Bass. Das waren schöne Zeiten. Vor vier Wochen dann Fietes Beerdigung, die Sticks hat er jetzt endgültig weggelegt. Neunundsechzig Jahre alt geworden, ruckzuck, Bauchspeicheldrüsenkrebs, nach sechs Wochen war es vorbei. Fast jeden Tag war ich da. Meistens war dann Fiete eine Zeit relativ fit, da saßen wir im Garten, haben rumgeklönt, Kaffee oder Tee getrunken, irgendwann ist er dann aufgestanden, „dat waret für heute, wa, muss mich mal ablegen,“ ging ins Haus. Besuchszeit beendet. Oft hat Peter dann mit Trude am Küchentisch gesessen, Arzttermine besprochen, Notar und Testament, Beerdigung, so ist Trude schon immer gewesen, pragmatisch, aber immer mit viel Empathie unterwegs.
Während er so in Gedanken an Fiete ist, geht er mit den Fingern über die Rücken der säuberlich in Kisten verpackten Langspielplatten. Er zieht irgendeine Platte raus, Jon Lord, Sarabande, na, da habe ich ja sofort die richtige Mucke erwischt, denkt er sich und legt sie auf. Auf das Sofa legen, zuhören. Die Musik beginnt. Ewig nicht gehört. Auftakt, Orchester, knallt wie verrückt. Fiete mochte diese Platte. Da war er immer der Einzige.
„Wie heißt dat? Saubande? So hört sich dat auch an“, haben die anderen oft gesagt. Fiete hat dann meistens nur gönnerhaft genickt, „Kulturbanausen“ gemurmelt und die Musik lief weiter. Mit der Klaviermusik werden die Gedanken um Fiete in ihm ruhiger. Dessen ganzes Leben war Musik, klar, als Schlagzeuglehrer und Jugendmusikschulleiter. So sah es auch bei der Beerdigung aus. Die kleine Friedhofskapelle rappelvoll. Draußen standen noch jede Menge Leute in der Sonne. Au man, ich im schwarzen Anzug, geschwitzt wie verrückt. Am Grab Musik von der Jugendmusikschule. Was bleibt? Kein Kaffee mehr dienstags in Fietes Küche oder bei mir. Keine kleinen Geschichten über die vergangenen Zeiten, Musikgeschichten. Früher war Fiete immer und überall als Drummer sehr gefragt. Viele Kilometer sind wir im alten Ford Transit rumgefahren, hinten drin die Schießbude. Alte Zeiten.
Es klingelt, hört er zwischen dem Schlagzeug. Hille wird schon an die Tür gehen, denkt er sich. Postbote, um elf Uhr? ziemlich früh.
„Tach, Heiner“, hört er Hille unten, „Peter ist oben.“
„Okay, dann gehe ich mal nach oben.“
Kaum hat Heiner die Tür geöffnet hat, geht er an den Schallplattenspieler:
„Was ist das denn für eine bescheuerte Mucke? Schon was getrunken, oder wie?“
„Maul halten, hinsetzen, zuhören.“
Eine kurze Zeit sitzen beide nebeneinander auf dem Sofa. Ein komplettes Orchester wummert durch das Zimmer. Ab und zu schaut Heiner seinen Kumpel fragend an. Der hat seinen Kopf auf die Sofalehne gelegt und hört nur zu. Klavier, Gitarre, Schlagzeug, viel Streicher, ne, was soll das sein, denkt Heiner, beginnt sich zu langweilen. Wann ist denn das zu Ende, ah, jetzt vielleicht? Die Musik wird leiser, ja von wegen, da geht es wieder von vorne an, aber nur das Schlagzeug. Peter stupst Heiner an,
„Kennste?“
Der zuckt nur mit den Schultern.
Schon kommt das Orchester auf die Bühne mit Tschikatäteritä und mit einem Klack hebt die Nadel von der Platte.
„Sag bloß du weißt nicht, was das ist?“
„Ne, keine Ahnung.“
„Um ehrlich zu sein, ich hätte das auch nicht mehr gewusst. „Saubande“, hat Fiete immer dazu gesagt. Trude hat mir die ganzen Platten von Fiete überlassen, ich soll die mal durchschauen. Hab ich gemacht, einfach eine Platte raus genommen, aufgelegt, das war gerade Jon Lord, Gigue, Sarabande. Klick nicht?“
„Ne, nicht wirklich. Jon Lord, kenn ich nicht?“
„Deep Purple kennste schon oder? Man eh, Fiete hat wie bescheuert das Schlagzeug von dem Stück geübt.“
„Ja, das glaube ich aufs Wort. Da hat der schon immer ein Faible für lange Schlagzeugsoli. Iron Butterfly, In-A-Gadda-Da-Vida, stundenlang hat der auf das Gerät geklopft, hat er schließlich auch zum Beruf gemacht. Ne, eine Saubande kenne ich nicht, Jon Lord, nie gehört“.
„Muss in den Siebzigern gewesen sein.“
„Na dann.“
„Damit Du Deine Wissenslücke schließen kannst, der Mann heißt Jon Lord, das Stück Gigue, Sarabande ist eine Tanzform der Barockmusik. Jon Lord hat da Klassik mit Rockmusik gemischt.“
„Na gut, dat ich das jetzt auch weiß. Meine Mucke ist es nicht“. Wenig begeistert schaut Heiner zu wie sein Freund vorsichtig die Platte in die Hülle zurücksteckt.
Der schaut auf die Kisten voller LPs.
„Da steht eine Menge Musik. Nach dem Mittagessen können wir da weiter kruscheln, mal hören, was wir dann auf die Ohren bekommen.“
Jetzt gibt es dienstags immer Mittagessen, zusammen mit Trude. „Verdammichnochmal, Fiete fehlt mir.“
„Da sagste wat.“
„Saubande. Man eh. Komm, lass uns mal runter gehen zu Hille und Trude.“