Schreiben im Senegal – Teil 3

Als ich auf der Insel ankomme, wird mir mit einem Schlag klar, dass ich seit dem Frühstück in Dakar nichts mehr gegessen habe. Christine verspricht mir ein Abendessen, während sie mich zu meiner Hütte begleitet. Wunschgemäß steht dort ein Tisch. Bestens, sage ich und füge hinzu, dass ich Schriftstellerin bin und arbeiten muss. Das französische ecrivain geht mir interessanterweise leichter über die Lippen als das deutsche Wort Schriftstellerin. Christine freut sich, weil alles zu meiner Zufriedenheit ist, und sagt, ich könne mir auch draußen einen Platz suchen, wenn es mir gefällt. Ich verschiebe die Entscheidung, jetzt will ich nur essen und mich von einem Tag auf afrikanischen Pisten erholen.

Das Abendessen ist delicieux. Das wird es die ganze Woche sein, ob Rindfleisch, Huhn, Seeteufel, Fingerfisch oder Austern, alles ist stets perfekt zubereitet. Es gibt auch Salat. Wegen der Keimbelastung des hiesigen Wassers wird Europäern ja davon abgeraten, hier Salat zu essen, und ich vermisse das immer sehr. Heute bin ich mir aber sicher, dass der Salat für Europäer verträglich zubereitet ist. Dazu gibt es Gemüse und Kartoffeln. Letzteres weiß ich deshalb sehr zu schätzen, weil im Senegal Reis das Hauptnahrungsmittel ist und ich zwar nichts gegen Reis habe, ihn aber auch nicht zu meinen bevorzugten alltäglichen Lebensmitteln zähle. Und – ganz traditionell französisch – es gibt immer zum Abschluss ein Dessert. Bei einer Crème brulée denke ich an Lucie, die mir schrieb, wie gut sie in ihrer australischen Schreibresidenz mit ihrer Arbeit vorankam, unter anderem, weil sie jeden Tag bekocht wurde. Das werde ich hier auch haben. Nun muss ich nur noch in meiner Arbeit ebenso große Fortschritte machen wie sie.

Außer mir sind im Camp nur noch zwei französische Familien mit drei Kindern, die tagsüber unterwegs auf einem Ausflug sind, weshalb ich mir – so wie Christine es vorgeschlagen hat – einen Tisch im offenen Salle à manger als Arbeitsplatz auswähle.

Dort sitze ich die nächsten vier Tage und arbeite. Wenn Bap, der Kellner, nachmittags seine Siesta hält, gibt er mir Bescheid, wo ich ihn finde, falls ich etwas brauche. Doch ich brauche nichts, außer der Stille, die so vollkommen ist, dass die Vögel zahlreich um mich herumflattern, als sei ich gar nicht da.

Internet gibt es hier nur so viel, dass ich ein paar Nachrichten versenden und empfangen kann, aber Fragen, die ich sonst gern mal an Google stelle, wenn ich nicht weiter schreiben mag, müssen warten. Von nichts abgelenkt, wandere ich auf dem Papier ans andere Ende des Kontinents, nach Äthiopien, wo mein Romanheld vor gut vierzig Jahren vor großen Herausforderungen stand.

Es ist heiß in diesen Tagen, an manchen Tagen wohl über 40 Grad, selbst der Wind fegt wie ein Fön über uns hinweg. Manchmal, wenn die Franzosen und ich aneinander vorbeischleichen, weil bei dieser Hitze jede kraftvolle Bewegung zu anstrengend ist, hauchen wir uns ein Il fait chaud oder Il fait vraiment chaud zu. Der Pool hilft. Ich erfrische mich, arbeite weiter und befehle meinem Rücken zu schweigen. Der findet nämlich, dass mein hiesiger Arbeitsplatz ergonomisch gesehen eine Katastrophe ist. Kann sein, aber für Gymnastik ist es definitiv zu heiß. Mein Rücken wird also noch eine Weile aushalten müssen.

Am vierten Tag reisen die Franzosen ab und niemand reist neu an. Christine gibt ihrem Team einen Abend frei, wir bleiben ganz allein im Camp und essen gemeinsam.

Christine ist Ende fünfzig, hat französisch-guineische Wurzeln und betrieb einst ein Restaurant an der Cote d’Azur. Mit Fünfzig beschloss sie, nach Afrika zu gehen. Sie kaufte dieses Fleckchen Erde, entwilderte es, baute die Hütten, installierte Solarpanels, weil es hier sonst außer dieselbetriebenen Generatoren keine Möglichkeit zur Stromgewinnung gibt. Sie suchte das Gespräch, als sie bestohlen und bedroht wurde, denn die männlichen Mitglieder der muslimischen Gemeinde Misirah sahen es nicht gern, dass eine Frau allein ein Camp betreiben will. Vor fünf Jahren eröffnete sie, und kann seither in sieben Hütten maximal dreißig Gäste aufnehmen. Deshalb ist die Betreuung hier angenehm persönlich, und das siebenköpfige Team ist aufmerksam und zuvorkommend. Dass Christine alle Teammitglieder in Misirah gefunden hat, hat ihr geholfen, von der Gemeinde akzeptiert zu werden. Nun will sie bis zu ihrem Ende auf der Insel bleiben. Frankreich ist ihr fremd geworden und selbst ihre Einkaufstouren nach Dakar oder Kaolack (nicht zu verwechseln mit Khao Lak in Thailand, das sehr schön sein soll, während Kaolack als schmutzigste Stadt des Senegal bekannt ist) sind ihr ein Gräuel. Ich verstehe sie. Wer braucht das alles, wenn man ein solches Stück Erde voller Frieden und Ruhe haben kann?

Und weil wir gerade so nett beieinander sitzen, frage ich sie, ob ich hier auch draußen schlafen kann. Ich kann und wähle mir dafür eine große Hängematte unter einem Cajou-Apfelbaum. Christine hängt mir sogar noch ein Moskitonetz über das Lager. Beim Einschlafen habe ich über mir in voller Schönheit den afrikanischen Nachthimmel mit seinen tausenden Sternen.

Ihre

Dorrit Bartel

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