Schreiben im Senegal – Teil 4

Als am fünften Tag eine Reisegruppe von zwölf Leuten ins Camp „einfällt“, muss ich leider meinen Arbeitsplatz im Salle à manger räumen. Nun kommt der Tisch in meiner Hütte doch noch zum Einsatz, ich stelle ihn vor die Hütte und verrücke ihn nach Stand der Sonne, damit weder mein Computer noch ich selber dahinschmelzen. Ich mag auch diesen Platz mit seiner Aussicht und bin der sehr präsenten Reisegruppe dankbar dafür, dass sie mir dazu verholfen hat.

Kurz vor Sonnenuntergang wandere ich einmal um die Insel – mein Rücken verlangt nach Bewegung. Ich verlaufe mich, weil ich an einer Kreuzung den falschen Abzweig nehme und murmele vor mich hin: „Es ist eine kleine Insel und es wäre zu peinlich.“ Weitergehen hilft, wie auch beim Schreiben oft einfach Weitermachen hilft, um auf den richtigen Pfad zurückzukehren. Rechtzeitig zum Abendessen finde ich zurück ins Camp. Zu meinem letzten Abendessen auf der Insel, denn morgen werde ich in Dakar erwartet. Die Rückreise geht etwas schneller als die Hinfahrt, Christine, die ohnehin nach Kaolack muss, setzt mich dort am Gare Routiere ab, und 15 Minuten später sind wir schon auf der Straße nach Dakar. Dort vermisse ich die Insel schon nach wenigen Minuten, als das Taxi in einen Stau gerät. Eine Straße ist gesperrt, weil der Präsident gerade vorbeifährt. Neben uns wuseln viel zu viele Menschen, vor uns und hinter uns hupen zu viele Autos.

Irgendwann schaffen wir es nach Ouakam, in das Viertel, in dem meine Freunde wohnen. Dort muss ich mich erst einmal eingewöhnen. Seit meinem letzten Besuch hat sich einiges verändert. Diesmal teile ich mir die Wohnung mit einem senegalesischen Ehepaar, einer Kongolesin und einer Deutsch-Marokkanerin. Manchmal reden, trinken oder essen wir zusammen, aber insgesamt bin ich wenig sociable. Ich will schreiben.

Ich brauche hier mehr Energie als auf der Insel, um mich zu konzentrieren, aber Dakar hat auch Vorteile. Es ist hier nicht so heiß wie auf der Insel, und ich habe gutes Internet, über das ich mich mit meiner Mentorin über das austauschen kann, was ich auf der Insel geschrieben habe – es sei nicht schlecht, attestiert sie mir. Nein, sie sagt sogar: recht gut. Motiviert davon schließe ich vormittags meine Zimmertür und schreibe. Erst nachmittags oder am frühen Abend gestatte ich mir ein paar Ausflüge: in eine Strandbar, die ca. fünfzehm Gehminuten von meinem Quartier entfernt liegt, oder zum Supermarkt.

Oder ich mache Familienbesuche bei den Eltern oder Geschwistern meiner senegalesischen Mitbewohner. Familienbesuch bedeutet hier vor allem: gemeinsam essen. Das ist der Moment, in dem alle zusammen sind. Ansonsten werde ich als Besucher auch einfach auf dem Sofa mit einem Saft oder Wasser auf dem Sofa „geparkt“ und kriege dazu den Fernseher angeschaltet, weil die Männer nicht zu Hause und die Frauen in der Küche beschäftigt sind. Einmal sitze ich stundenlang allein im Wohnzimmer einer Familie und schaue mir die César-Verleihung an, während die Frauen der Familie für mich kochen. Natürlich habe ich als Gast in der Küche nichts zu suchen, es soll mir ja gut gehen. Allerdings würde es mir auch wenig nutzen, in die Küche zu gehen, denn ich beherrsche die Landessprache Wolof nicht. Französisch ist für uns alle die Zweitsprache, die jungen Frauen sprechen es meist sehr gut, die Älteren nicht ganz so; meine Fähigkeiten liegen irgendwo dazwischen. Für eine Konversation beim Essen reicht es, aber in der Küche bleiben die Frauen lieber unter sich bei Wolof. Beim Zuhören habe ich den Verdacht, dass die Senegalesen, was die Intensität der Gespräche angeht, so etwas wie die Italiener Afrikas sind. Ich fürchte oft, es sei ein Streit ausgebrochen, während eigentlich nur eine ganz normale Unterhaltung stattfindet. Nach stundenlangem Kochen gibt es sehr leckeren Reis mit Fisch, nach einem Rezept aus Saint Louis. Serviert wird das Essen auf einer großen Platte. Der gebratene Reis füllt den Boden der Platte, und darauf sind in der Mitte die anderen Zutaten verteilt: die Doraden in großen Stücken, aus denen die Gräten herausgucken, dazu Möhren und Rüben und gebratene Zwiebeln. Das für mich wohlschmeckend-fremde Essen entschädigt mich für die absurde Situation des stundenlangen Fernsehens. Außerdem sage ich mir, dass ich auch deswegen hierhergekommen bin: um tiefer in die hiesige Realität einzutauchen. Und die ist: Ich bin eine – durchaus gern gesehene – Fremde, die man aber – natürlich – mit einer gewissen Distanz betrachtet und behandelt. Was anderes habe ich erwartet?

Gegessen wird übrigens immer gemeinsam von einer großen Platte, und einmal schiebt mir meine Sitznachbarin mit ihrem Löffel noch ein grätenfreies Extrastück Fisch hinüber. Ich denke einen winzigen Moment an Corona, ehe ich das Stück mit meinem eigenen Löffel nehme und genussvoll kaue.

Ihre

Dorrit Bartel

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