Seifenblasen

Ingrids Liebesgeschichte

„Hast du eigentlich Kinder?“

Sie schüttelt den Kopf. Auf ihrer Stirn bildet sich eine Falte, die sie älter aussehen lässt, nicht länger wie die Judith, in die er einmal so verliebt war.

Er fragt trotzdem weiter. Es ist ihm wichtig, er kann nicht sagen, warum. „Wolltest du keine?“

„Doch, zwei“, sagt sie, den Blick auf die Tischplatte gerichtet. Dann sieht sie hoch, direkt in seine Augen. „Ich hatte nur nie den passenden Mann.“

„Aber …“ Was aber? Du bist doch verheiratet? Warst es immer? Oder? Er linst nach ihren Händen, aber sie hat sie zwischen ihren verschränkten Armen versteckt.

„Manchmal klappt’s nicht wie geplant, das Leben.“ Sie fixiert ihn immer noch. Er kann ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. „Wo warst du, als ich dich dringend gebraucht hätte, Andi Ritter?“

Bevor er auch nur Atem holen kann, lacht sie los. Laut, unecht. Er erinnert sich, wie es klingt, wenn sie wirklich lacht. Wie ansteckend das sein kann. Jetzt bleiben ihre Augen ernst. Was will sie ihm sagen? Will sie ihm überhaupt etwas sagen? Er weiß nicht, wie er reagieren soll. Zuckt mit den Schultern. Setzt sein Grinsen auf. Wie immer.

„Hast du denn welche?“ Sie beugt sich nach vorn, stützt die Ellenbogen auf den Tisch und lehnt das Kinn an die gefalteten Hände. Ihre Fingernägel sind kurz und durchsichtig lackiert, sie trägt keinen einzigen Ring. Kann es sein?

„Nein, ich auch nicht.“ Er sieht sie gespannt an, grinst wieder. Sein Herz schlägt schneller.

Sie nickt, als hätte er ihr ein Geheimnis verraten, das sie schon kannte. Ein Lächeln erhellt ihr Gesicht. Ganz langsam, als würde sie das Licht behutsam höher dimmen.

Er lehnt sich über den Tisch, möchte näher rücken, etwas von ihrem Schein abhaben. Sie bei den Händen fassen, weglaufen, tanzen. Wie früher. Mit wem hätte er sich denn Kinder wünschen sollen? Seine Frau ist längst weg. Die ewigen Versuche, Nachwuchs zu produzieren, haben ihrer Ehe nicht gut getan. Er ist froh darüber, dass es bei den Versuchen geblieben ist. Kinder hätten auch nichts mehr gerettet.

„Ein Junge und ein Mädchen“, sagt Judith leise. Kleine Lichter stehen in ihren türkisblauen Augen. Sie streicht eine Haarsträhne hinter das Ohr. Hellblond, er kennt die Geste so genau.

„Tobias und Susanne.“ Er muss keine Sekunde nachdenken, die Bilder entstehen ganz von selbst, als wären die Erinnerungen real. Ein blonder Junge in kurzen Hosen und ein Mädchen mit dunklen Zöpfen toben zwischen den Obstbäumen. „Tobi, der Wildfang. Er sieht aus wie du.“

„Und Susi ist genau wie du.“ Sie greift nach seiner Hand und drückt sie. Der Hauch eines blumigen Parfums streift ihn und lässt immer weitere Bilder entstehen. Seifenblasen gleich steigen sie nach oben. Sommer, Sonne, Picknick. Tobi und Susi. Judith und Andi. Was wäre gewesen, wenn? Was wäre möglich? Wäre es …

Eine Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. 

„Entschuldige, dass ich zu spät bin, mein Herz.“ Ein grauhaariger Mann beugt sich über Judith und küsst sie zärtlich auf die Wange. Freundlich sieht er aus, ruhig, ganz bei sich. Grundsympathisch, leider. Er blickt zu Andi und nickt grüßend. „Ein Freund von dir?“

„Andi. Eine alte Liebe.“ Judith legt ihre Hand auf die ihres Mannes, die auf ihrer Schulter ruht. Eine liebevolle, vertraute Geste. „Aus uns ist nie etwas geworden. Aber wer weiß? Du bist gerade rechtzeitig gekommen. Beinahe wäre ich mit ihm auf und davon gelaufen!“

Sie wendet den Kopf, sieht zwischen ihrem Mann und Andi hin und her. Und hin. Und her. Der Schalk lässt ihre Augen strahlen. Sie lacht los. Laut, echt, ansteckend.

Eine Seifenblase zerplatzt, dann noch eine. Andi kann das Ploppen hören, als wäre es real. Er zuckt mit den Schultern und grinst. Wie immer.

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