Jürgens Sommer (1)

Sommer ist die gefährlichste Jahreszeit. Sagte mein Vater immer und meinte damit, dass Sommertage häufig mit blauem Himmel anfangen und mit Donnerschlag, Sturzbächen und Weltende auslaufen.

Dann kam auch noch Corona und verhagelte uns den restlichen Sommer.

Hey, voll unfair.

Stimmt. Nun verbringen wir die Sommerferien in unseren vier Wänden, was den ersten Vorteil hat, dass uns kein Wetter mehr das Hemd nassmacht. Aber Arschkarte: Die Umwelt sehen wir jetzt nur noch aus der Ferne von unserer Terrasse aus. Ist das noch ein Leben?

Nee, nicht so.        

Deshalb und weil Soraya mir schon seit Jahren damit in den Ohren lag, mache ich mich dran, unseren Heizungskeller zu renovieren.

Vorteil Numero zwei: Im Keller herrschten ganz angenehme Temperaturen. Nur beim Wändeabkloppen konnte man sich im durchgeschwitzten Blaumann schon mal das Reißen holen. Aber beim Flexen der Asbestrohre wieder alles gut, da konnte die Soße ruhig laufen, weil der Überanzug an Ärmeln und Hosenbeinen mit Panzerband zugeschnürt war. Mit Schutzbrille sah ich echt cool aus, hab ich jetzt auch als Avatar bei Whatsapp. Und als mir beim Abreißen der Holzdecke Staub und Dreck leise entgegenrieselten, sagte ich mir:

Wow, das ist die Gravitation, da bin ich direkt am Puls der Natur.

Genau, so bringt mich die Arbeit im Heizungskeller immer dichter ran das Real Life. (Dritter Vorteil).

Wenn man mich schon nicht an die Natur der Costa Brava lässt, dann nehme ich sie eben, wie mir sie als Dreck auf den Kopf fällt. Anderes Beispiel: Irgendwie musste die Sparschalung an die Decke kommen und natürlich hängen bleiben. Hmm, jetzt ging es darum, den Naturkräften ein Schnippchen zu schlagen und zu sagen, wer Chef im Ring ist. So fand ich Geschmack an der Natur, wie sie sich in die Nasenlöcher legt, die Bohrmaschine am Stahlbeton in die Knie zwingt und den teuren SDS-Bohrer zum Glühen und Knacken bringt. Und sie verzeiht nicht den kleinsten Fehler. Wenn man zum Beispiel beim Justieren der Unterkonstruktion mit der Wasserwaage etwas unachtsam war und jetzt die blöden Einmannplatten nicht mehr fugenlos zusammenpassen.

Lalalala.

Habe ich schon gesagt, dass mit der Entdeckung der Rechtwinkligkeit das Denken anfing? Menschheitsgeschichtlich gesehen. Als die Steinzeitmenschen ihre Tongefäße nicht mehr in die Erde bohren, sondern aufrecht hinstellen wollten, mussten sie die Böden rechtwinklig zu den Wänden konstruieren, damit sie nicht umkippen. Zwei Linien, die sich senkrecht schneiden, Vertikale und Horizontale, sind ein Gegensatz, der sich aufhebt, so dass Trichterbecher, Pyramide und der Tempel in Delphi nicht zusammenstürzen. Deshalb konnte ich an die Decke gehen und lustig die Gipsplatten verschrauben, und am Ende blieb der ganze Spaß sogar oben hängen.

Respekt!

Finde ich auch, eine abgehängte Decke ist ein Stück gezähmter Natur. Wenn man mit dem Fugenspachtel Bohrlöcher und Fugen glättet, passt man sich der Materialität der Objektwelt an und die Hände vollführen Bewegungen, die die Werkzeuge diktieren. So liefert man sich dem Sein aus und wird Subjekt. Diese Arbeit ist ein Geben und Nehmen der Naturkräfte, so dass ich zu einem Teil der Natur werde und sie eines von mir. Oder wie es Karl Marx nennt: Humanisierung der Natur und Naturalisierung des Menschen.

Wow!

Yes. Und das gab’s alles gratis in diesem Coronasommer, wo ich eigentlich einen Jürgen-liest-Beitrag schreiben wollte, über Dostojweskis „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“. Aber kein Vergleich, hab ich Recht?

So was von.

Bevor ich jetzt die vertikalen Wände hochgehe und sie mit Ausgleichsmasse spiegelblank spachtel, begebe ich mich erstmal in die Horizontale meiner Hängematte, für ein paar Störtebecker (Vorteile vier und fünf) und einen Chill mit meiner Soraya (sechs).

Prost!

Danke. Schluss: Mit Stehleiter und Hängematte ist man Weltmeister und wird noch schlau dabei.

Ihr
Jürgen Block

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