Kürzlich war ich auf der Suche nach einem Untermieter für drei Monate. Denn wenn Sie diese Zeilen lesen, werde ich auf dem Weg in den Süden sein, um dem deutschen Winter für einige Wochen zu entschwinden. Dafür brauche ich erstens das Geld und zweitens jemanden, der meinen Pflanzen regelmäßig einen Schluck Wasser gibt. Und da meine Wohnung mit drei Zimmern groß genug ist, dachte ich, es wäre sicher praktisch, wenn die Person schon etwas früher einzieht, damit ich weiß, mit wem meine Pflanzen es zu tun kriegen.
Zugegeben, ich wollte am liebsten einen Wochenendheimfahrer haben, der möglichst maximal vier Nächte in Berlin und meiner Wohnung und auch sonst einigermaßen unauffällig ist, was eine Freundin mit den Worten zusammenfasste: Am besten jemanden, der Miete zahlt, aber nicht da ist. Was so ausgedrückt zwar ein bisschen gemein, aber nicht ganz weit weg von der Wahrheit war.
Ich inserierte also auf einer entsprechenden Internetplattform, bat um Anfragen von Leuten, die mindestens 35 sind und schrieb auch in die Anzeige, dass ich Autorin bin, also zu Hause arbeite, allerdings auch hin und wieder verreise und jemanden suche, der dann meine Pflanzen gießt.
Ich bekam Post von etwa einem Dutzend 20jähriger Studenten, die alle frisch in Berlin waren (weil man in Berlin so coole Partys feiert, las ich zwischen den Zeilen) und natürlich nicht vorhatten, am Wochenende nach Hause zu fahren. Ich erinnerte mich an meine letzten WG-Erfahrungen mit 20jährigen Studenten und zählte meine Ersparnisse nochmals im Hinblick darauf, ob ich mir Reisen und Wohnung auch ohne Untermieter würde leisten können.
Dann kam die Mail von Lucie, die mir schrieb, sie würde sich gern um meine Pflanzen kümmern, wenn ich nicht da sei. Und sie sei selbst Autorin und wisse, wie das ist, wenn man zu Hause seine Ruhe brauche. Und sie sei übrigens aus Australien – also hatte auch sie nicht vor, am Wochenende nach Hause zu fahren. Aber sei’s drum, dachte ich und antwortete ihr. Immerhin hatte sie meine Mail wirklich gelesen. Drei Tage später kam sie, um sich das Zimmer anzusehen und nachdem sie einen Blick hinein geworfen und zustimmend: „Very nice“ gemurmelt hatte, gingen wir in die Küche, um Tee zu trinken. Das Wasser kochte noch nicht einmal, da waren wir schon mitten in einem Gespräch darüber, wie mysteriös sich das Thema für einen Roman ins Bewusstsein schiebt. Lucie schreibt einen Roman, der im Bauhaus der 1930er Jahre spielt und weiß bis heute nicht, wo ihr Unterbewusstsein das hergenommen hat – ich meine, ich komme doch auch nicht auf die Idee, einen Roman zu schreiben der irgendwo in Sydney spielt. Aber – da waren wir uns sehr schnell einig – wenn dann so eine Idee über einen kommt, muss man die annehmen und eben diesen Roman schreiben. Unser Teetrinken dauerte schätzungsweise eine Stunde und über das Zimmer redeten wir nicht mehr – es war auch so klar, dass sie es nehmen würde. Als Lucie eine Woche später kam, um die Kaution zu bezahlen, war ihre erste Frage nicht etwa die, wie es mir ginge, sondern wie viel ich diese Woche geschrieben hätte.
Bis sie einzog, vergingen noch drei Wochen, in denen ich mich daran erinnerte, wie ich im letzten Jahr einmal eine Schreibwoche mit sieben Autorinnen an der Costa Brava verbracht hatte. Man kann zu Schreibcamps ja geteilter Meinung sein, aber die wirklich wunderbare Erfahrung war damals, dass wir hauptsächlich mit unseren Romanprojekten vorankommen wollten und diesem Ziel alles unterordneten. Wir hatten viel Spaß zusammen, wir haben wahnsinnig viel gelacht und die Landschaft genossen, aber vor allem haben wir geschrieben. So konnte schon mal jemand wortlos vom Frühstückstisch aufstehen, um sich an einen der, über die Terrasse und das großzügige Wohnzimmer verteilten, Tische zu setzen und zu arbeiten. Oder jemand murmelte seinen Text ins Handy, um ihn hinterher abzuhören, weil man erst dann den Klang einer Szene richtig beurteilen kann. Ich selbst maulte an einem Tag gefühlte fünf Stunden darüber, dass Liebesszenen einfach furchtbar sind, ließ dann aber auch alle wissen, dass meine Protagonisten sich nun endlich geküsst hatten, was wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde. Ich fühlte mich verstanden wie man nur von Kollegen verstanden werden kann.
Daran dachte ich, während ich meine Wohnung untermietertauglich machte.
Und tatsächlich: seit Lucie eingezogen ist, hat meine Wohnung etwas von einem Schreibcamp. Wir fragen uns gegenseitig nach unseren Fortschritten, loben uns, wenn es mehr als tausend Worte geworden sind und entschuldigen die Andere dafür, dass heute leider gar nichts funktioniert hat. Wir trösten uns und machen Mut. Natürlich essen wir manchmal zusammen und einigen uns über den Einkauf und das Putzen, aber alles in allem fühlt es sich überhaupt nicht an, als hätte ich eine Untermieterin, sondern eine Kollegin zu Gast. Noch dazu eine exotische. Für sie habe ich übrigens sogar meine Abneigung gegen Weihnachten für einen Moment beiseite geschoben und ihr das Buch „Die Australierin“ von meiner geschätzten Blog-Kollegin Ulrike Renk geschenkt. Und ich habe sogar Gänsebrust mit Rotkohl und Klößen zubereitet – ich meine, für eine australische Kollegin, die vielleicht nur ein einziges deutsches Weihnachten erlebt, muss man sich schon mal ein bisschen ins Zeug legen, oder?
Übrigens arbeitet Lucie für die Australian Society of Authors, was ja via Internet heutzutage auch über solche Entfernungen funktioniert. Ihre Aufgabe besteht in der Beratung von Autoren, die auf Vanity Publisher hereingefallen sind oder gerade dabei sind, sich auf einen solchen einzulassen. Spätestens da wusste ich, dass es irgendwie Schicksal war, dass ausgerechnet sie bei mir eingezogen ist, und dass ich sie unbedingt mit Rico Beutlich bekannt machen muss. Allerdings muss Lucie dafür erst noch ihren Deutschkurs erfolgreich absolvieren.
Während die Zeit zu meiner Reise verstrich, wollte ich unbedingt noch einen – meinen ersten – Roman zu Ende schreiben. Ich habe es sehr genossen, jeden Tag gefragt zu werden, wie ich vorankomme. Und an Tagen, an denen ich meinte, es sei ein ohnehin aussichtsloses Unterfangen, von Lucie an den Schreibtisch geschickt zu werden. Und wenn ich in Panik geriet, erzählte sie mir von ihren Erfahrungen mit ihrem ersten Roman. Sie hat ihren ersten bereits bei einer Agentin untergebracht und erzählte immer mal, wenn ich es nötig hatte, von der Entstehung ihres Erstlings. Einmal verreiste sie und ich ertappte mich dabei, dass ich mich fragte, wie ich vorankommen sollte, wenn ich nicht von Lucie unterstützt würde. Na gut, ich habe mich dann schnell daran erinnert, dass ich mich früher auch selbst an den Schreibtisch geschickt habe.
Am Ende habe ich es tatsächlich geschafft: Bevor ich zu meiner Reise aufgebrochen bin, habe ich ENDE unter diesen Roman geschrieben und ihn an meine Testleser geschickt. Ich habe jetzt etwa 1 ½ Jahre daran geschrieben und mache mir keine Illusion: wenn die Testleser mit ihm fertig sind, wird er mich noch einmal Zeit und Arbeit kosten. Aber das kann warten, denn erst einmal freue ich mich auf ein neues Projekt.
Ich habe Lucie schon gefragt, ob sie nicht noch eine Weile länger bleiben will. Denn so ein Schreibcamp ist wirklich sehr hilfreich. Für Lucie offensichtlich auch, denn sie bleibt. Und ich bin ziemlich froh, dass sie auch am Wochenende hier ist.
In diesem Sinne empfehle ich bei Schreibblockaden: Suchen Sie doch einfach mal einen Untermieter.
Oder wie Lucie sagen würde: Happy Writing.
Ihre Dorrit Bartel
Lucie könnte durchaus die erste Anwärterin für den noch zu schaffenden Posten des »assoziierten Rico« sein, mit dem die 42er Autoren Personen auszeichnen, die in anderen Ländern das Ziel verfolgen, Autoren gegen DKZV oder Vanity Press zu beraten und zu unterstützen.