Und noch ein paar gute Vorsätze

Der erste Januar ist ein Tag, den ich nicht besonders mag. Meistens werde ich erst wach, wenn es draußen schon wieder dämmert, ich komme schwer in den Tag, muss schlimmstenfalls darüber nachdenken, ob ich wohl irgendwas Peinliches gesagt oder gemacht habe … nein, es ist kein Tag für gute Vorsätze – nicht einmal für den, nie wieder zu viel zu trinken, denn mal ehrlich, sich mit einem Kater vorzunehmen, nie wieder Alkohol zu trinken, ist albern. Im besten Fall reicht meine Energie am ersten Januar noch dafür, ein oder zwei Wünsche an das Universum abzusenden. Etwas wie: Ich will für den Roman, den ich gerade schreibe einen Verlag finden. Oder: Ich wünsche mir ein Stipendium, damit ich für kurze Zeit legitimiert schreiben darf. Jedenfalls so Sachen, die ich mir nicht vornehmen kann, weil sie nicht in meiner Macht stehen. Aber Vorsätze, also etwas, wofür ich selbst aktiv werden muss – nein, am ersten Januar hat so was keine Chance bei mir.

Nicht dass Sie mich falsch verstehen – sonst bin ich nicht so. Ich nehme mir gern etwas vor. Bloß eben zu anderen Zeiten. So beschloss ich im Mai 2002 mit dem Rauchen aufzuhören – und habe seither nur noch unangezündete Zigaretten angefasst. Seit März 2004 treibe ich regelmäßig Sport, damals noch im Fitness-Studio; inzwischen jogge ich lieber durch den Park. Im Sommer 2010 beschloss ich, das Schreiben nun endlich etwas ernsthafter zu betreiben. Folgerichtig will ich in diesem Sommer meinen ersten Roman fertigstellen. Aber das habe ich mir schon im letzten Oktober vorgenommen. Und eines Tages werde ich Proust „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ im Original lesen. Wahrscheinlich werde ich dann mindestens achtzig sein, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass meine Geduld dafür vorher ausreicht. Mein Französisch wahrscheinlich nicht einmal dann, aber es kann ja nicht schaden, längerfristig zu denken. Die wirklich großen Vorsätze halten sich einfach nicht an den Jahresrhythmus.
Ansonsten halte ich mich eher an die Ratschläge der Psychologen, die sagen: Nimm Dir kleine Schritte vor. Beginne heute das siebte Kapitel. Schreibe es im Laufe der Woche zu Ende. Beginne dann in der nächsten Woche das nächste Kapitel. Oder ich nehme mir vor, beim nächsten Treffen mit meinen französischen Freunden Französisch zu sprechen, denn sonst wird das mit Proust nie was.
Keine Ahnung, ob diese Strategie besser ist – wahrscheinlich ist es damit wie im richtigen Leben: Man muss einfach anfangen. Und dann weitermachen. Am ersten Januar ebenso wie am Zwanzigsten.

Ihnen wünsche ich jedenfalls, dass Sie sich die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt vornehmen.

Ihre Dorrit Bartel

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