Unser Sommerlesetipp von Evi und Jürgen

„Einen Sommerroman?“, so Evi, meine Frau, und weiter: „Im Moment lese ich nur ernste Sachen, den Karl Jaspers zum Beispiel, immer nur zwei Seiten am Stück. Aber stimmt, ein richtiger Sommerroman wäre nicht verkehrt. Hast du eine Idee?“

Blubbs! Eigentlich hatte ich gedacht, Evi hätte eine Idee, denn ich schreibe gerade an einem Beitrag für den 42er-Blog über Sommerlesetipps.

„Da fällt mir ein“, Evi wieder, „Lady Chatterley“ käme in Frage, dazu gibt’s ja auch den wunderbaren französischen Film mit dem Waldmann.“

Insider. Mit dem Waldmann ist der Schauspieler gemeint, der den Wildhüter spielt, keinen Schimmer, wie der Name richtig ausgesprochen wird, aber er soll ja so unglaublich sexy sein, was heißt „soll“: Evi und ihre mindestens fünfzehn Freundinnen sind regelmäßig alle hin und weg. Jean-Louis Coulloc’h, wenn es Sie interessiert. Versuchen Sie das mal im ersten Anlauf richtig auszusprechen. Der Film kam übrigens 2006 in die Kinos und hat fünf Cesars abgesahnt, aber nicht allein deswegen gerät Evi immer wieder aus dem Häuschen.

Ich weiß jetzt nicht, ob der Film bei der Blog-Redaktion schon als Roman durchgeht, aber ich schwöre, großes Indianerehrenwort, dass Evi nicht nur diesen einen Roman, sondern sämtliche Fassungen gelesen hat, die sie in die Finger kriegen konnte. Über die komplizierte Veröffentlichungsgeschichte des Romans, der 1928 geschrieben wurde und erst 1972 unzensiert erscheinen durfte, lesen Sie besser bei Wikipedia nach. Nur so viel: In dem Roman geht es um Lady Chatterley und den Wildhüter Mellors (in der zweiten Romanfassung, die verfilmt wurde, heißt er Parkin), die nach dem Ersten Weltkrieg beide auf unterschiedliche Weise ramponiert und geradezu zerstückelt waren und in der Waldeinsamkeit versuchen, ein ganzes Leben zu finden, in dem sich die zerrissenen Stücke wieder zu einem harmonischen Ganzen vereinigen. „Vereinigen“ ist natürlich in des Wortes ganzer Bandbreite zu verstehen. Kurzum: Film und Buch sind ganz schön versaut, oder eben „erotisch“, welches Wort Evi und ihre Freundinnen bevorzugen.

Jetzt zu mir. Ich hoffe, dass auch mein Vorschlag bei der Blog-Redaktion freundliche Aufnahme findet. Zur Vorgeschichte: Auf meinen Sommerroman stieß ich, als wir Anfang Juli Urlaub in Hannover machten und Evi so ganz beiläufig fragte:

„Du kommst doch mit in die Innenstadt? In der Goseriede hat’s da diesen … Comicladen. Na, wie ist?“

Komisch, irgendwie schafft Evi es immer wieder, mich zu motivieren, selbst bei der Affenhitze, die damals herrschte, dass ich mich noch einmal aufraffen kann für ein gemeinsames Shoppingerlebnis in der Innenstadt von Hannover.

Ich sage immer: Einmal im Leben muss jeder mal in der Goseriede gewesen sein. Da gibt’s zum Beispiel das Anzeiger-Hochhaus, ein Klinkergebäude aus den zwanziger Jahren, wo nach dem Krieg „Spiegel“ und „Stern“ gegründet wurden. Echt Hammer, was? Ich musste unbedingt dorthin, wo man das Anzeiger-Hochhaus am besten sehen konnte: Gegenüber vom Comicladen.

So war das. Während Evi in einen Sportladen wollte, der hieß so komisch, wie Gut-Ski oder so, guckte ich mich in dem Laden um, wo ich keinesfalls der Älteste war. Gefühlt jedenfalls nicht. Wie auch immer, ich kaufte mir eine Graphic Novel; nein, was heißt „eine“: die erste und einzige Graphic Novel: „Ein Vertrag mit Gott“ von Will Eisner, einem der größten Comiczeichner.

Dieser gut fünfhundertseitige Comic erzählt in vielen Episoden die Geschichte eines Mietshauses in der (erfundenen) „Dropsie Avenue“ in der Bronx, vom Jahre 1870, als die Engländer in das Viertel eindrangen und die holländischen Bauern wegekelten bis zur Gentrifizierung Anfang des 21. Jahrhunderts. Man sieht zum einen die ewiggleiche Gewalt zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion, Hautfarbe etc., zum anderen den Schneckengang der Zivilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Keine Panik: Der Roman ist außerdem vollgepackt mit Liebe und Humor. Ich bin total happy über diesen Comic. Evi übrigens auch mit ihrem sportlichen Täschchen. So hatte jeder was von unserm Ausflug in die Innenstadt. Gott, was haben wir da geschwitzt!

Ich hoffe, die Lesetipps bringen Sie weiter. Mehr als diese beiden Romane brauchen Sie nicht, und die nächste Affenhitze kann kommen. Viel Vergnügen.

Ihre Evi und Jürgen Block

D.H. Lawrence: Lady Chatterleys Liebhaber, Artemis und Winkler 2004,
Will Eisner: Ein Vertrag mit Gott. Carlsen 2017.
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