Urlaubslektüre – eigentlich ganz egal

„Wie glücklich wir waren!“

Über diesen Satz bin ich vor ein paar Tagen bei Tim O’Brien gestolpert und wie kaum einer passt er zu meinem Gefühl, wenn ich versuche, mich auf meine Urlaubslektüre zu besinnen.
Da bin ich, neun oder zehn Jahre alt, mit ständig verfilzenden Haaren, wie ich zusammen mit meiner Mutter in einem nach überreifen Melonen stinkenden Auto hocke. Das Auto, es war ein roter Mazda-Kombi, steht vor einem Kloster in Südfrankreich und es ist heiß, heiß, heiß. Wir schwitzen, wir sitzen in piekenden Baguettekrümeln, wir trauen uns nicht aus dem Wagen, der freilaufenden und potentiell bissigen Hunde wegen. Wegfahren können wir auch nicht, mein Vater fehlt.
Mein Vater besichtigt nämlich das Kloster.
Gleich einem klerikalen Nymphomanen kann mein Vater keinem, aber wirklich keinem Kloster widerstehen. Es ist da? Es muss von ihm besichtigt werden. Und wenn er es schon besichtigt, dann reicht kein kurzer Blick, da geht er akribisch vor. Wer weiß, ob er wiederkommt? Wer weiß, ob es nächstes Mal noch steht? Meine Mutter und ich haben also Zeit, aber ich habe mein Buch durch, ich quengle, ich will ans Wasser oder wenigstens eine kalte Limo. Und statt mich anzuraunzen, klettert meine Mutter zu mir auf den Rücksitz, kuschelt sich an mich feuchtklebriges Etwas und beginnt mir ihr eigenes Buch vorzulesen. Es war Agatha Christies „Die Schattenhand“ und vielleicht war das der Beginn meiner Leidenschaft für Krimis?
Viele, viele meiner Urlaubslektürenerinnerungen beinhalten auch mit lieben Menschen geteilte Hängematten: „Hagen von Tronje“ habe ich so und in Begleitung meines Bruders verschlungen, „Die Buddenbrooks“ in Begleitung einer wunderbaren Freundin. Lese ich heute Mann, dann höre ich es wieder: dieses satte „Pflatsch“, mit dem neben uns die Äpfel vom Baum fielen.
Und wenn ich Süßkinds „Das Parfum“ sehe, erinnere ich mich, wie ich mit jener Freundin das erste Mal in Berlin war, wie wir nachts auf dem Balkon saßen. Wir lasen, wir rauchten und tranken Rotwein und wenn die Nutten auf der Straße zu laut keiften, konnten wir es bis zu uns rauf hören. Es klang aufregend exotisch in unseren Ohren, aber wir waren auch noch sehr jung.
Meine diesjährige Urlaubslektüre habe ich bisher nicht geplant – ich setzte auf meinen baldigen Geburtstag und den guten Geschmack meiner Liebsten.
Aber im Grunde ist es für mich mit der Urlaubslektüre wie mit dem Urlaub selbst: Wohin man fährt, was man liest, das ist mir im Grunde egal. Hauptsache, ich tu‘s in guter Begleitung.

Ihre Joan Weng

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