„Früher gab es das ja nicht“, stellte unsere Mutter fest. Wir waren damals unterwegs im Münsterland und fuhren vorbei an Karawanen von geschmückten und mit Bierkästen beladenen Bollerwagen, die von gutgelaunten Männern jeder Altersklasse gezogen und geschoben wurden.
„Wohl“, belehrte sie meine Schwester. Im Religionsunterricht, den wir beide nur widerwillig besuchten, hatte sie erfahren, dass es diesen Brauch bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Umgebung von Berlin gegeben habe.
„Ob das wirklich alles Väter sind?“ zweifelte unsere Mutter.
„Im Zweifelsfall wissen einige von denen das selbst nicht so genau“, warf meine Schwester ein.
„Deine Tochter scheint mir etwas frühreif“ beschwerte sich unser Vater bei seiner Frau.
Die beklagte sich zurück: „Meine Töchter sind früher am Muttertag ganz leise lange vor uns aufgestanden und haben den Frühstückstisch gedeckt, in Schönschrift Gedichte geschrieben und Blumenbilder gemalt.“
„Frühstückstisch decken wir immer noch“, widersprach ich, „und kaufen von unserem Taschengeld sogar richtige Blumen für Dich.“
„Den Tisch deckt ihr immer schon am Samstagabend, um nicht früh aufstehen zu müssen.“ Das stimmte. Unser Vater trug seinen Part bei, indem er Brötchen holte.
„Außerdem“ ergänzte meine Schwester, „hast du selbst gesagt, der Muttertag kann dir gestohlen bleiben, wenn wir den Rest des Jahres nicht zu würdigen wissen, was du für uns alles machst.“
„Und ich habe nie Vatertag!“, warf unser Vater ein.
„Du hast immer Vatertag“, erwiderte unsere Mutter spitz.
Vatertag, das war zum Beispiel heute, so ein Tag, an dem er seine Familie ins Auto packte, um mit ihr ins Grüne zu fahren, was wir einmal toll gefunden hatten. Inzwischen aber hätten wir uns auch eine andere Tagesgestaltung für Sonn- und Feiertage vorstellen können. Vatertag war auch jeder Samstag, an dem mein Vater durch die Wohnung tobte und uns ermahnte, unsere Zimmer endlich mal aufzuräumen.
„Aber ich bin nie mit anderen und Bollerwagen losgezogen“, beharrte unser Vater.
„Hättest du denn Spaß daran? Möchtest du das mal machen?“, fragte unsere Mutter verblüfft, oder war sie gekränkt?
„Nö“, erwiderte ihr Mann.
„Aber ob das hier wirklich alles Väter sind?“
„Sie könnten es ja sein, ohne es zu wissen“, sagte meine Schwester wieder, „und wollen halt nur auf Nummer Sicher gehen, damit sie nichts versäumen, was ihnen zustehen könnte. Vatertag für alle Männer im zeugungsfähigen Alter sozusagen.“
Unser Vater gluckste.
„Deine Tochter ist wirklich arg frühreif“, sagte jetzt unsere Mutter.
Paula Lankow