Was alles nicht passierte – der 42er-Jahresrückblick
„Wir sollten einen Jahresrückblick schreiben“, sagt Horst-Dieter und reibt sich die Augen.
„Is’ was passiert?“, fragt Jo und gähnt.
„Nicht wirklich“, sagt Uli. „Keiner wollte dieses Jahr den Verein kaufen, keine verkaufen, keiner wollte an die Börse, keine die Alleinherrschaft übernehmen.“
„Nee, das reißt schon eine Lücke in den Unterhaltungswert für dieses Jahr!“ Horst-Dieter schüttelt den Kopf.
„Sind auch alle wiedergewählt worden“, meint Jo und kratzt sich hinterm Ohr. „Gab keinen Job, der unbesetzt blieb in 23.“
„O mein Gott, das war doch sonst eine sichere Bank! Keine hat die Mitgliederversammlung vorzeitig verlassen? Keiner hat dem anderen mit Rauswurf oder Austritt gedroht?“ Uli rauft sich die Haare.
„Wo sind denn da die News, wo bleibt der Spannungsbogen, wo stecken die Skandale!“ Jo stöhnt, dann hellt sich sein Gesicht auf. „Der Blog! Der Blog stirbt, da kommt nichts mehr rein. Das Blogteam liegt tot neben unbeschriebenen Blättern und schwarzen Bildschirmen, in den Brustkörben der Teammitglieder stecken schwarze Bleistiftspitzen. Durchbohrt sind sie, die Autorenherzen, mit eigenen Waffen geschächtet!“
Uli klatscht enthusiastisch in die Hände: „Das wird der Aufmacher: Kein Bock auf Blog – mit Autorenblut an die Wand geschrieben!“
Horst-Dieters Blick ist leer. „Nee, das hat Joan alles total im Griff. Dauernd kommt da textlich irgendwas nach … und dann noch Dorit mit ihren Cartoons, leider sehr schön, da reißt so gar nichts ab. Und dann wird das auch noch gelesen! Die Zeiten sind hart!“
Uli richtet sich auf und ruft die neueste Schlagzeile aus: „Eskalation um Öffentlichkeitsarbeit – Auch dieses Jahr wird nichts und niemand informiert, weil keiner das so macht, wie die andere es gerne hätte!“
Jo lacht. „Jaaa, das wird’s! Der Dauerunterhalter, keine Öffentlichkeitsarbeit! 42erAutoren verheimlichen ihre Existenz!“
Horst-Dieter stöhnt. „Wir haben jetzt einen professionellen Presseverteiler, mit Riesenreichweite und so. Der Newsletter läuft auch. Und jetzt auch noch ein Jahresrückblick, mehr Info geht nicht, das ist echt keine Schlagzeile!“
„Zusätzlich der Austausch bei den monatlichen Plaudermeetings, läuft auch geräuschlos, haben alle Spaß bei … laaangweilig, keine Überschrift wert!“ Jos Augen fallen beim Reden fast zu.
„Ich hab’s“, ruft jetzt Horst-Dieter. „Vorstand zu dumm für Zoom – Vorständler bekommen Videomeeting-Plattform nicht in den Griff!“
Jo winkt ab. „Schnee von gestern, läuft wie geschmiert.“
„Putlitzer Preis abgesagt – Dieses Jahr keine Veranstaltung vor Ort, keine Geschenke, keine Moderation, Rieseneklat?“
„Waren alle da, Supermoderation, klasse Scheunenlesung, regionales Bier in rauen Mengen verteilt. Einziger Eklat: Der Pfarrer trinkt kein regionales Bier, nur seine Lieblingssorte. Im Gegensatz zu den Autoren – die waren zahlreich anwesend und trinken alles. Sogar manch ein Urgestein kam aus der Versenkung.“
„Hat Pfarrer trinkt nur Krombacher schon Unterhaltungswert?“, fragt Jo.
Schweigen.
„ABER! Nächstes Jahr haben wir Jubiläum! 25 Jahre 42erAutoren!“ Uli jubiliert. „Claudia, Tom und Sophie moderieren den Untergang, Kaelo reaktiviert die Untoten, und das Orchester des Grauens bekommt seinen Auftritt, unter Horst-Dieters Leitung werden Ukulelen von amotorischen Autor:innenhänden gezupft! Und wir werden ab 2024 auf sehr vielen Messen unser Unwesen treiben!“
Horst-Dieter schüttelt wieder den Kopf: „Das ist eine Vorschau, kein Rückblick!“
„Claudia und ich waren auf dem Putlitzer Stadtfest“, ruft Uli verzweifelt. „1.075 Jahre, da war mords was los! Die Bürgermeister haben eine Rede gehalten, es gab jede Menge Musik und Festivitäten, Ortsvorsteher Pirow nebst Frau und Ulla Bernd sind mit Gastfreundschaft und Herzlichkeit über sich hinausgewachsen. Es gab eine sensationelle Rede von Pfarrer Spitzner, jede Menge Stände, und die Vereine haben gezeigt, was sie alles können!“
Jo blickt freudig auf. „Und was habt ihr gemacht?“
„Gewinkt!“
„42erAutoren winken – als Überschrift?“, fragt Jo stöhnend. Horst-Dieter senkt den Blick. Dann rappelt er sich wieder auf.
„Was ja immer geht, ein Riesenaufmacher, skandalös: 42erAutoren schreiben nicht mehr. Keine Neuerscheinung in den letzten zwei Jahren auf der Website gesichtet!“
„Ist leider aktualisiert, mindestens 30 Neuerscheinungen!“ Ulis Stimme ist fast nicht zu hören.
„Wer macht denn so was?“, ruft Horst Dieter. „Doch nicht etwa der IT-Barde, der Christian? Der muss raus, der zerstört jede Schlagzeile mit seinem Aktionismus!“
„Forum hinkt Zeitgeschehen hinterher – Keiner weiß Bescheid, keiner antwortet auf Fragen!“ Jo schreit die Worte hinaus.
„Boah, wir haben Dorrit beim Netzwerk Autorenrechte sitzen. Die trägt leider alles in Echtzeit weiter, da sind wir eigentlich früher als alle anderen informiert. Horst-Dieter, der Verräter, erzählt und erklärt alles über VG Wort, nee, Neuigkeiten über KI auch aus allererster Hand …“ Uli bricht mitten im Satz ab, schluchzt.
„Das riecht nach Verschwörung!“, brüllt Jo. „Das hat mit der Zahl 23 zu tun! Da hab ich einen Film gesehen, 23 – Nichts ist so, wie es scheint! Mit 23 Messerstichen wurde Cäsar erstochen, 23 ist die Zahl der Illuminati, mit 23 Jahren starb der KGB-Hacker Karl Koch!“
„Genau“, schreit Horst-Dieter. „Es gibt ja auch eine Zigarettenmarke: Ernte 23!“
„Ähh, versteh ich jetzt nicht …“ Uli schnäuzt in ihr Taschentuch.
„Mein Gott!“ In Jos Stimme liegt Ungeduld. „Denk doch nach! Zigaretten töten Menschen!!“
„Und jetzt auch Schlagzeilen und damit den Verein! Versteht ihr? Und wenn du die 2 verdoppelst und von der 3 eins abziehst, was kommt dann raus?“ Horst-Dieters Stimme vibriert. Elektrizität liegt in der Luft.
„42“, flüstert Uli.
Alle nicken sich zu. Keiner traut sich mehr zu atmen.
„Wir müssen das den Leuten mitteilen“, sagt Jo leise und schaut sich über die Schulter. Das Gesicht ist graublau vom Schein des Computerbildschirms. „Wir müssen der Welt die Wahrheit mitteilen!“
Die letzten Worte haucht Horst-Dieter nur:
„Dann ist die Schlagzeile klar: Verschwörung in 23: Skandalverlust bei den 42erAutoren. Maultaschenmafia unter Verdacht!“
Ihre Ulrike Maier