Unser Nachbar einige Häuser weiter hat seinen Vorgarten mit Gehwegplatten gepflastert und mit einem Betonkübel blauer Leberblümchen geschmückt. Praktisch: Das Gefälle des Vorgartens lässt das Regenwasser durch den Zaun in den Straßengully laufen. Wenn ich vom Bäcker komme, erfreue ich mich an dem Garten, da sich in den Fugen klitzekleine Hornveilchen festgesetzt haben. Weder Fugenkratzer noch Unkrautbrenner konnten ihnen anscheinend etwas anhaben, vielleicht weil sie sich schon an der Grenze zum öffentlichen Gehweg befinden. Oder der Hausherr, die Hausherrin oder beide zusammen hatten Mitleid, folgten ihrem Gefühl für Ästhetik oder ließen sie ohne weitere große Worte stehen.
Ich wettere nicht gegen Schottergärten, deren versickerungsverhindernde Wurzelschutzfolien gegen Unkrautbewuchs den Aufbau einer natürlichen Bodenfauna zerstören und deren Steingut – je dunkler, desto stärker – dazu beiträgt, unser Klima weiter aufzuheizen. Denn diese Vorgärten bieten mit ihren mineralischen Substraten auch Salamandern und Ruderalpflanzen, wie Königskerze und Wegerich, ein ökologisches Habitat. Und das Wichtigste: Pflaster- und Schottergärten sind ein Symbol für unser Leben in der Pionierzone des Alltags, wo wir der Unsicherheit der beruflichen und individuellen Existenz, kurz: dem Wahnsinn der aktuellen Zeitläufte ausgesetzt sind. Ich erkenne mich in dem Mauerblümchen wieder, das sich in einer Ritze in der Betonwüste festgekrallt hat.
Ein anderer Nachbar hat dagegen einen versickerungsfähigen Rasen, den er wöchentlich mit seinem Husqvarna-Rasentraktor traktiert. Dies ist ein Symbol dafür, wie wir unseren Lebenshalm mit Lärm und Gestank getrimmt halten.
Neben meiner Mutter wohnt einer, der seinen Vorgarten auf gut Glück und Gottvertrauen wuchern lässt und an einem Trampelpfad zwischen Haustür und Carport genug hat. Die Nachbarn schimpfen, aber dieser Garten ist ein Symbol dafür, dass es auch so geht. Zeig mir deinen Vorgarten und ich sage dir, was für ein Mensch du bist.
In den Vorgärten unserer Straße werden der abgezirkelte französische, der geschwungene englische und der geharkte japanische Garten in Ansehen gehalten. Nur an den chinesischen Garten traut man sich nicht heran, da er mit seinen tausend Seen und tausend Bergen dem darin spazierenden Kaiser die Einsicht vermitteln soll, dass selbst er den Gewalten der Natur unterworfen ist. Auch scheinen die Ansprüche des Sonnenkönigs Ludwig XIV. in unseren Vorgärten auf keinen fruchtbaren Boden gefallen zu sein; während seines täglichen Spaziergangs durch den Garten mussten die Gärtner die Blumenrabatten mehrmals umpflanzen, damit sich bei der zweiten Spazierrunde nichts wiederholte; Ludwig ging im Gegensatz zu uns Normalsterblichen niemals zweimal durch den gleichen Garten.
Kommen wir jetzt zu unserem Rasenvorgarten, der nach Meinung meiner Frau Soraya einen Vertikutierer nötig hätte. Aber ich versuche es erstmal mit Komposterde, um das Wachstum der Grashalme anzukurbeln. Augenscheinlich fühlt sich der fleißige Maulwurf so wohl bei uns, dass eine holprige Landschaft entstanden ist, über die nur meine Mutter mit ihrem Gehwagen nicht glücklich ist. Unser Hinternachbar warf einen kritischen Blick auf unsere Totholzhaufen, aber Vögel und Gliederfüßler danken es uns täglich. Buschrose und Flieder am Zaun müssten auch wieder auf Vordermann gebracht werden, ich könnte weitere Gehölze nennen, anders gesagt: Unser Garten ist ein Work in progress.
Wofür unser Vorgarten im Ganzen symbolisch steht, darüber müssen Sie, lieber Leser, jetzt selbst entscheiden.
Ihr Jürgen Block