Vom Fußball fürs Schreiben lernen

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Foto: Jörg Lingrön (42er Lesung, Leipzig. 14.3.14 im ‚Knicklicht‘)
(links: Michael Kaelo Janßen, rechts: Dorrit Bartel)

Ein Interview mit Michael Kaelo Janßen

Es fragt: Dorrit Bartel

Kaelo ist ein 42er Urgestein, auch bekannt in seiner Rolle als Rico Beutlich

Aus verschiedenen Gründen haben wir dieses Interview schriftlich geführt, was prinzipiell ja egal wäre, allerdings sagt Kaelo zur Rechtschreibreform Folgendes: „Ich ignoriere die scherzhaft als ‘Rechtschreibreform‘ euphemisierte Standardisierung der Legasthenie, deshalb bediene ich mich der echten Rechtschreibung.“

Der geneigte Leser möge sich also nicht über ‘ß‘ statt ‘ss‘ wundern, sie sind kein Fehler des Lektorats, sondern Absicht.

Fangen wir bei Deinem Namen an. Was mich schon immer interessiert hat: Kaelo? So heißt Du doch nicht wirklich, oder? Erzähl mal!

Kaelo stammt aus dem Altmittelhochnordostdeutschen und bedeutet sinngemäß Der sich den Wolf tanzt. Gut, das ist nicht die ganze Wahrheit: In der Sexta (Erläuterung für Spätgeborene: So nannte man die erste Klasse eines Gymnasiums. Gymnasium bitte bei Google oder Wikipedia recherchieren) hatten wir sechs Schüler, die von ihren Eltern mit dem teutonischen Sammelbegriff ‘Michael‘ gestraft worden waren. Um den so Gebeutelten – zu denen ich mich ebenfalls zählte – wenigstens einen Hauch von Individualität angedeihen zu lassen, wurden ihnen Spitznamen zugeordnet. Zu jener Zeit trieb in Deutschland ein jugoslawischstämmiger Schlagerbarde namens Bata Illic sein Unwesen. Der Refrain seines Hits Michaela beinhaltete die Passage Mi-ka-e-la-aha. Meine Klassenkameraden hielten es für eine gute Idee, mich von da an mit der maskulinen Variante Mi-ka-e-lo-oho anzureden, was sich wegen der unzumutbaren Länge recht schnell auf Ka-e-lo, also dem aktuellen Kaelo abschliff, was bis heute Bestand hat. Wer wissen möchte, wie ich diesen Spitznamen als Künstlernamen in meinen Ausweis eintragen lassen habe, möge sich durch die zusammengestümperte Homepage kaelo.de wurschteln.

Du bist schon wenige Tage nach der Gründung zu den 42ern gestoßen, 1999, wenn ich richtig recherchiert habe. Warum? Was hat Dich dazu bewogen? Was hast Du Dir damals unter der Vereinsarbeit vorgestellt und ist daraus geworden, was Du Dir gewünscht hast? (Die anderen Interviewten sind ja noch Frischlingeund deshalb ganz euphorisch, deshalb interessiert mich Deine Meinung als alter Hase.)

1999 bin ich zur 42er-Mailingliste gestoßen, auf die mich mein damaliger Arbeitskollege und mittlerweile Großmeister der Besprechungstexte, Wolf P. Schneiderheinze, aufmerksam gemacht hatte. Mitglieder dieser Mailingliste hatten gerade einen Verein – den 42erAutoren e. V. – gegründet, für dessen Mitgliedschaft man sich, im Gegensatz zur Mailingliste, durch Schreibproben qualifizieren mußte, die von einem Aufnahmeausschuß für gut befunden werden mußten. Da ich Mitgliedschaft in Institutionen, die jeden aufnehmen, schon immer fragwürdig fand, bewarb ich mich gleich als Vereinsmitglied, zumal ich mir davon eine professionellere Arbeitsweise versprach. Ich wurde dann im August 2000 Mitglied – also acht Monate nach der Vereinsgründung – und meine Erwartungen wurden mindestens erfüllt, meistens aber noch übertroffen.

Schließt an die letzte Frage an: Was ist aus Deiner Sicht der größte Unterschied zwischen den 42ern bei Gründung und heute? Und findest Du das gut? Was bedeuten Dir die 42er überhaupt?

Am Anfang waren die Qualitätskriterien für die Aufnahme bestenfalls auf halber Höhe – vermutlich, um überhaupt genügend Mitglieder für eine Vereinsgründung gewinnen zu können, was man bei einigen Gründungsmitgliedern – die aber mittlerweile schon lange nicht mehr dabei sind – deutlich merken konnte. Für lange Zeit war Susanne Gerdom, Mitglied der ersten Stunde und immer noch aktiv im Verein tätig, die einzige 42erin, die etwas in einem Publikumsverlag veröffentlicht hatte. (Ich bitte prophylaktisch um Absolution, falls ich jemanden übersehen habe, bei Susanne habe ich die Veröffentlichung zumindest ‘miterlebt‘.) Der aktuelle Stand ist, daß ich einer der wenigen bin, die noch nichts veröffentlicht haben, insofern haben sich die Vorzeichen umgekehrt. Auch wenn mein eigenes Engagement im Verein starken Schwankungen unterliegt, würde ich niemals aussteigen. Irgendwie tanke ich bei den 42ern immer wieder mal ein wenig Motivation oder kassiere einen für mich notwendigen Arschtritt, um überhaupt mal wieder etwas zu schreiben. Und mit 42er meine ich natürlich die Menschen, die diesen Verein bilden – und allein schon, einigen von ihnen persönlich auf Messen, Lesungen oder Mitgliederversammlungen zu begegnen, rechtfertigt die Mitgliedschaft. 🙂

Auf Deiner Homepage lässt sich lesen, dass aus Dir nicht geworden ist, was aus Dir hätte werden können. Was wärest Du geworden, wenn es anders gelaufen wäre? (Zumindest auf Deiner Homepage hört es sich an, als wärst Du nicht unbedingt bei der Schreiberei gelandet. ;-))

Ich bin ja leider auch kein Schreiber geworden, sondern verdiene meine Plätzchen durch ‘normale‘ Arbeit. Wenn es anders gelaufen wäre, hätte ich möglicherweise schon etliche Bücher verfaßt – oder mittlerweile einsehen müssen, daß ich zu untalentiert bin und es ganz aufgeben sollte. Fakt ist, daß ich mir selbst im Weg stehe, aber es gibt einige 42er, die immer wieder versuchen, mich da wegzuschieben, damit ich durchkomme. Und wer mich kennt, weiß, daß das ’ne Menge körperlichen Aufwands erfordert.
Du hast ja schon ziemlich viel Verschiedenes in Deinem Leben gemacht: Schlosserei, Bundeswehr, was Kaufmännisches und doziert hast Du auch schon. Denkst Du, dass so ein bunter Lebenslauf eine gute Voraussetzung fürs Schreiben ist oder findest Du das eher hinderlich?

Mein eigentlicher Berufswunsch war Groupie bei den Bangles. Meine Bewerbung wurde aber damals mit der fadenscheinigen Begründung abgeschmettert, daß die Band noch gar nicht existiere. Durch meine zum Teil sehr unterschiedlichen Jobs habe ich Erfahrungen gesammelt und Menschen kennengelernt, die einem Profi-Schreiber bestenfalls im Rahmen von Recherchen begegnen. Insofern habe ich Menschen mit einem stromlinienförmigen Lebenslauf einiges voraus, zumindest wenn’s ums Schreiben geht.

Woran arbeitest Du zurzeit? (Ich hoffe,die Antwort ist „Pfümf Pfreunde“, denn darüber freuen sich dann wahrscheinlich so ziemlich alle, die daraus in Leipzig einen Ausschnitt hören durften.)

Abgesehen davon, daß ich die Schreibweise mittlerweile aus Gründen in Die Pfantastischen Pfümpf  umgeändert habe, ist das tatsächlich momentan das, woran ich primär arbeite, übrigens gemeinsam mit meinem 42er-Kollegen Jörg Lingrön. Es geht um eine nichterotische Ost-West-Zwangsbeziehung zwischen einem Ossi und einem Wessi und spielt in den frühen 80er Jahren des letzten Jahrtausends. Und die Publikumsresonanz  in Leipzig, wo ich das erste Kapitel vorgestellt habe, fand ich extrem motivierend, zumal ein Teil dieses Publikums auch aus 42ern bestand.

Außerdem durfte ich Dich in Leipzig als Rico Beutlich  bewundern; mit Arschruhe vor tuschelndem und kopfschüttelndem Publikum den größten Schrott zu lesen, verdient Respekt.Dir scheint Deine Rolle als Rico Beutlich inzwischen sehr ans Herz gewachsen zu sein. Verrätst Du uns, wie viel Kaelo in Rico Beutlich steckt? Und woher kannst Du so gut sächseln?

Ich habe generell keine großen Probleme, mich zum Obst zu machen, wenn ich’s für nötig halte. In diesem Fall war’s noch einfacher, weil ich ja nicht mich selbst, sondern eine Kunstfigur dargestellt habe. Die Publikumsreaktionen fand ich phänomenal. Um eine vergleichbar große Fassungslosigkeit in Gesichter zu zaubern, müßte man sonst schon Merkel zu ’nem Lapdance überreden oder bei RTL eine Sendung mit intelligentem Inhalt ausstrahlen. In mir steckt exakt ein Drittel Rico, da diese Figur von Michael Höfler, Tom Liehr und mir ins Leben gerufen wurde, wobei Michael eindeutig der geistige Vater ist. Ohne Rico Beutlich künstlich aufplustern zu wollen, steht er aus meiner Sicht für ein Schlitzohr, das unredlichen Institutionen ans Bein pinkelt. Insofern wünsche ich mir mehrere Ricos, auch in anderen Bereichen. Die Politik wäre ein guter Markt. Und was das Sächsische angeht: Dialekte nachzuahmen erfordert in erster Linie die Fähigkeit und Geduld, sie sich zunächst einmal anzuhören und die Charakteristiken rauszufiltern. Das mit dem Wiedergeben ist dann nicht mehr ganz so schwierig. Ich bekomme die meisten Dialekte einigermaßen hin. In Hamburg oder Sachsen einen Bayern überzeugend zu imitieren, ist verhältnismäßig einfach – allerdings würde kaum ein ‘Muttersprachler‘ auf meine ‘Künste‘ reinfallen.

Ich nehme an, dass Rico Beutlich nicht zu Deinen literarischen Vorbildern gehört, aber verrätst Du uns, wer Deine Vorbilder sind?

Die ersten Autoren, von denen ich außerhalb der schulischen Pflichtlektüren freiwillig etwas gelesen habe, waren Enid Blyton, Mark Twain und Ephraim Kishon. Twain und Blyton fand ich als Kind extrem spannend, als literarisches Vorbild sehe ich aber nur Ephraim Kishon. Ich fand seinen Humor und die Art, wie er Alltagsbegebenheiten zuspitzte und schilderte, einfach phänomenal. Meine ersten Kurzgeschichten lesen sich, wenn ich sie mir heute mit dem Abstand und der Erfahrung vieler Jahre durchlese, wie Kishon-Abklatsche, sofern der Begriff Abklatsch überhaupt im Plural existiert. Ich erfreue mich an der Wortgewalt von Kabarettisten wie Jochen Malmsheimer oder an den um unüberschaubar viele Ecken gedachten Wortspielen eines Willy Astor, werde für alle Zeiten Heinz Erhardt und Loriot lieben – aber Vorbilder in der Literatur? Nein, nicht in dem Sinne, daß ich jemandem nacheifern würde. Möglicherweise sind Kishon und meine Affinität zum Kabarett aber auch Schuld daran, daß ich erst sehr spät auf den Gedanken gekommen bin, mal etwas Längeres als Kurzgeschichten zu schreiben.

Es ist kein Geheimnis, dass Du Fußballfan bist – Dortmundfan, um genau zu sein (schließlich lebst Du ja dort). Befruchten sich diese beiden Leidenschaften irgendwie gegenseitig? Gibt es irgendwas an Fußball, was Du fürs Schreiben gebrauchen kannst?

Fußball ist für mich schon immer wichtig gewesen. Als Kinder haben wir jeden Tag gepöhlt, später hatte ich ’ne BVB-Dauerkarte. Heute schärft Fußball mein Sprachgefühl; nicht die Sportart selbst, sondern die Kommentatoren. Und das liegt nicht einmal so sehr an Formulierungen aus dem Phrasenbaukasten wie „lange Bälle“ (früher waren die rund), „tiefstehende Mannschaften“ (damals war das Spielfeld noch ebenerdig, und alle Spieler standen auf derselben Höhe), „Standardsituationen“ (bei denen ich mich immer frage, ob es wohl auch Luxus- oder Extrasituationen gibt), „Doppelsechser“ (hätte zu meiner Zeit wahlweise 12 oder gar 66 geheißen, aber dermaßen große Zahlen kamen auf Fußballtrikots nicht vor) und „falsche Neuner“ (bei denen ich mir immer noch nicht schlüssig bin, ob sie auf dem Kopf stehen, auf der Seite liegen oder gar in Wirklichkeit Achter oder Dreier sind), sondern vielmehr an dem sonstigen hilflosen Geschwafel, das ihnen permanent aus den Mündern entweicht. Ein viertelstündiger Kommentar von Bela Rethy („Durch Bierhoffs Einwechslung hat sich nichts geändert. Im Gegenteil.“), Steffen Simon („Unten raus hat Bremen oft Probleme mit der Luft.“) oder Holger Pfandt („… noch 30 Minuten zu gehen …“ – wobei man sich als Zuhörer wünscht, daß er es innerhalb des genannten Zeitraums schnurstracks in die Hölle schaffen möge.), um nur einige zu nennen, schärft für Wochen mein Gespür für dummes Gelaber. Und hilft mir somit – um den Kreis zu schließen, eigene Formulierungen sehr viel kritischer zu sehen und ähnlichen Unfug zu vermeiden. Oder zumindest absichtlich anzuwenden.

Ich danke Dir für Deine ausführlichen und erhellenden Antworten. Und gib Bescheid, wenn Du mal wieder jemanden zum Wegschieben brauchst, ich packe gern mit an.  

 

 

 

 


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