Es gibt Musikliebhaber, die hören nur Bach, Mozart, Beethoven und vielleicht gelegentlich Schubert, Schumann oder Tschaikowski. Es ist ihnen nur das Beste gut genug. Das ist im Grunde okay – jeder kann hören was er will und sich seine eigene Lieblingsmusik zusammenstellen. Mir würde es schwerfallen, mich auf ein so enges Spektrum einzuengen.
Ich mag die genannten Klassiker auch und habe von denen eine gute Auswahl in meinen Platten- und CD-Regalen stehen – von Bach sogar eine große –, aber daneben findet sich noch vieles andere. Etwa eine ganze Reihe Aufnahmen mit Musik von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822). Das war ein Tausendsassa, der zu seinen Lebzeiten als Dichter, Musikkritiker, Zeichner und Maler, Komponist, Kapellmeister und Jurist auffällig wurde. Als Dichter ist er wohl den meisten in Erinnerung, doch dieses dichterische Werk enthält bereits viel Musik. Ritter Gluck, eine seiner ersten Erzählungen, widmete er dem damals bereits verstorbenen Komponisten Christoph Willibald Gluck. Mit dem Kapellmeister Johannes Kreisler schuf Hoffmann eine Figur, die nicht nur als des Dichters Alter Ego, sondern als Künstlerfigur der Romantik gelten kann. Als Musikkritiker schrieb er beispielsweise eine kompetente Analyse von Beethovens 5. Symphonie. Hoffmann ist heute als Dichter etabliert und geschätzt, sein musikalisches Oeuvre wird aber leider oft eher abwertend klassifiziert. Wie wenig das taugt, kann man an einer Aufnahme des Bayerischen Rundfunks mit dem Trio Bamberg hören. Darauf sind enthalten: das Klaviertrio op. 70.1, genannt Geistertrio von Ludwig van Beethoven und das Grand Trio E-Dur von E.T.A. Hoffmann. Beethoven und Hoffmann gegenüberstellen – geht das? Und ob. Zwar kann sich Hoffmann tatsächlich nicht mit dem Genie Beethoven auf eine Stufe stellen, sein Trio fällt aber keineswegs so stark ab, wie man befürchten könnte.
Wo wir gerade bei Beethoven und Hoffmann sind: Aus dem kleinen hohenlohischen Städtchen Niederstetten stammt Jeremias Friedrich Witt (1770–1836), Sohn eines Schuldieners, Kantors und Gerichtsschreibers. Er fand wegen seiner musikalischen Begabung Aufnahme in die Hofkapelle des Fürsten von Oettingen-Wallerstein, die im Nördlinger Ries ansässig war. Keineswegs war das ein Provinzorchester, es war so gut, dass man es sogar mit den Mannheimern verglich, und viel Prominenz war dort deswegen zu Gast, unter anderem auch Joseph Haydn. Auf einer Bildungsreise, die Witt 1793/94 unternahm, kam er auch nach Wien und traf dort Haydn wieder. Witt etablierte sich schon bald auch als Komponist, dessen Symphonien beispielsweise von E.T.A. Hoffmann rezensiert und gelobt wurden. Dreiundzwanzig Symphonien schuf er, neben Instrumentalkonzerten, Kammermusik und geistlichen Werken. Besonders bekannt bis heute ist seine Symphonie in C-Dur, die Jena-Symphonie genannt. Und das kam so: Der Musikwissenschaftler Fritz Stein – der übrigens aus dem tauberfränkischen Gerlachsheim stammte – entdeckte in der Jenaer Universitätsbibliothek einen Notensatz für eine Symphonie, auf der der Komponist nicht verzeichnet war. Aufgrund einer Notiz auf einer Stimme für die zweite Violine – par Louis van Beethoven – nahm er an, dass es sich um ein Frühwerk desselben handle. Diese Meinung wurde fast ein halbes Jahrhundert lang von der Fachwelt geteilt, bis nachgewiesen werden konnte, dass es eben doch eine Symphonie von Friedrich Witt war. Hört man sich diese Symphonie an, so findet man wenig Ähnlichkeit mit den anderen Symphonien Beethovens, nicht mal mit der ersten. Aber Beethovens frühe Kompositionen unterschieden sich auch noch nicht so stark von den Werken anderer Komponisten seiner Zeit, sodass die Zuweisung an ihn nicht ganz so fern lag. Erfreulicherweise gibt es inzwischen auch andere Einspielungen mit Musik von Friedrich Witt, die zeigen, dass er damals nicht zu Unrecht ein beachteter und gefragter Musiker und Komponist war.
Wenn wir schon über Friedrich Witt und Oettingen-Wallerstein reden, dürfen wir auch Antonio Rosetti (1750–1792) nicht auslassen. Mitnichten handelt es sich dabei um einen Musiker italienischer Abstammung, sondern um den vermutlich in Böhmen geborenen Anton Rössler. In Prag ausgebildet, kam er 1773 zur Hofkapelle in Oettingen-Wallerstein, bei der sich übrigens auch Mozart, allerdings vergeblich, beworben hatte. Rosetti bekam die Stelle als Kontrabassist, lieferte aber auch Kompositionen für das Orchester. 1871/82 reiste er nach Paris, wo er mit seinen Werken durchaus erfolgreich war. Mehrere dort entstandene Werke wurden veröffentlicht. Zurück in Wallerstein brachte er es 1785 zum Kapellmeister, wechselte aber 1789 an den Hof des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin in Ludwigslust, vermutlich weil das Honorar dort deutlich höher war. 1791 führte man anlässlich der Trauerfeier für Wolfgang Amadeus Mozart in Prag ein Requiem von Rosetti auf. Im Juni 1792 starb er. Vom Fürstenhaus war er so geschätzt, dass seiner Familie – er hinterließ Frau und zwei Töchter – eine Rente ausgesetzt wurde, was damals durchaus nicht üblich war. Erhalten sind von ihm: 43 Symphonien, zahlreiche Solokonzerte, Harmoniemusiken – das sind Werke für Holz- und Blechbläserensembles –, Kammermusik, Klaviermusik, Lieder und geistliche Musik. Ein beachtliches Oeuvre, und erfreulicherweise liegt eine ganze Reihe davon in Einspielungen auf Tonträgern vor. Es gibt sogar eine internationale Rosetti-Gesellschaft, die sich die Aufgabe gesetzt hat, das Werk Antonio Rosettis zu fördern und zu verbreiten, und nun bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten jährlich zu Konzerten im Ries einlädt.
Mich bereichert es immer, wenn ich die Hauptpfade der Kunst verlasse und schaue, was es sonst noch gibt, sei es in der Musik oder der Dichtung. Ich meine, die großen Künstler von anderen, die die Kunst ihrer Zeit ausmachten, zu isolieren, heißt die Kunst selbst in zu enge Fesseln legen.
Ihr
Horst-Dieter Radke
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.