Von Lilli Chapeau und warum das alles Theater ist

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Miltenberg am Main hat eine schöne, historische Altstadt, eine Brücke mit einem interessanten Tor, eine Burg, eines der ältesten Gasthäuser Deutschlands, eine Brauerei und das kleinste professionelle Theater der Welt. 20 Quadratmeter ist es groß und hat offiziell 31 Plätze. Heute Abend war die Bude gerammelt voll. Ich durfte auf den Stufen zur Königsloge sitzen. War vielleicht nicht ganz so bequem wie auf einem Stuhl, bot dafür aber einen prächtigen Ausblick auf die Bühne

 

Geführt wird das Theater von Lilli Chapeau und Clemens Bauer. Sie ist das komplette Schauspielerensemble und er macht den Rest. Lilli Chapeau kam mit einer Gauklertruppe im Jahr 1997 das erste Mal nach Miltenberg. Sie lernte dort Clemens Bauer kennen und zog mit ihm und seiner »Wanderbar« einige Jahre durch Deutschland. Beide gründeten 2004 das »kleinste professionelle Theater der Welt« in einer kleinen Gasse in Miltenberg. Alle Stücke sind von Lilli Chapeau geschrieben, alle Rollen werden von ihr gespielt: Parzival – Dornröschen und Camilla – Der Glöckner von Notre-Dame – Paris, Paris und seine Frauen – Goethe und ich und Der kleine Lord.

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Ich hatte das Glück, »Paris, Paris und seine Frauen« zu sehen. Madame de Pompadour, schon etwas über ihren Zenit hinaus, schildert ihren Aufstieg und ihre Sorgen um den Einfluss bei Ludwig XV. George Sand erzählte von ihrer Beziehung mit Chopin und davon, wie sie dazu kam, im schmutzigen Paris Männerkleidung zu bevorzugen. Sarah Bernhardt berichtet, wie eine Krankheit sie zu ihrem größten Ruhm brachte. Camille Claudel, schon vom Wahnsinn gezeichnet, spuckt ihre Verachtung über Rodin, ihren Mentor und Liebhaber, ins Publikum. Dann war Pause. Ein vorwitziger Besucher lässt sich laut darüber aus, dass die Lilli Chapeau auf dieser kleinen Bühne unmöglich ihre Balletausbildung zum Tragen kommen lassen kann.

Blog Colette

Als der Vorhang sich wieder hebt, steht Colette da, erzählt von der Belle Époque und »tanzt« dann zu einem mit arabischen Elementen angereicherten Flamenco. Anschließt stellt sich Coco Chanel zum Interview, erzählt, wie sie dazu kam, diesen als minderwertig angesehen Stoff »Jersey« aufgewertet zu haben, führt dann am Ende auf einem schnell improvisierten Laufsteg noch eine Modenschau mit einigen ihrer Modelle vor. Dass die »Models« zwei Pudel waren, störte dabei kein bisschen. Blog Coco

Dann war aber Schluss mit lustig. Simone de Beauvoir hielt eine Vorlesung über ihr Buch »Le Deuxiéme Sexe« (Das andere Geschlecht). Dem so belehrten Publikum gab Edit Piaf dann den Abschluss mit einer kleinen Feier unter Freunden und am Ende schon nicht mehr ganz nüchtern.

Blog Piaf

Ob die Geziertheit der Pompadour, das Burschikose der Sand, den Wahnsinn der Claudel, die Laszivität von Colette oder die intellektuelle Aggressivität der Beauvoir – Lilli Chapeau hat das alles im Griff. Man glaubt ihr für den Augenblick der Darstellung, dass sie nicht nur in die Rolle der Persönlichkeiten geschlüpft ist, sondern dass sie diese Persönlichkeiten ist. Bis der Vorhang fällt und man gespannt darauf wartet, was als nächstes kommt. Das wird alles nicht nur mit einer guten Professionalität dargeboten, sondern auch mit viel Spaß.

Alle, die in Hamburg, Berlin, Leipzig, München, Augsburg, Stuttgart, Mannheim oder sonstwo sitzen und nicht den Hintern hoch bekommen, um nach Miltenberg zu fahren, um sich einen vergnüglichen Abend im Theater Lilli Chapeau zu machen, kann ich nur bedauern. Was seid ihr doch für arme Menschen, dass euch das entgeht. 😉

 Ihr Horst-Dieter Radke

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2 Gedanken zu „Von Lilli Chapeau und warum das alles Theater ist“

  1. Wer so eine weite Anfahrt auf sich nimmt, der sollte sich vorab mal beim Theater erkundigen,ob noch ein Plätzchen frei ist. Bei 20 Plätzen sind die Vorstellungen oft schon ausverkauft. Irgendwann habe ich dann auch mal Glück, beziehungsweise kann rechtzeitig reservieren.

    Mein Glück ist, Miltenberg ist quasi um die Ecke.

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