Von wegen alle Wetter!

Ein Beitrag von Joachim Off

Putlitzer-Preis-Maskottchen mit Flasche

Ziemlich genau in der Mitte zwischen Hamburg und Berlin liegt die Gemeinde Putlitz. Ganz im Zeichen der Gans ist sie seit 2005 Schauplatz der jährlichen Verleihung des legendären Putlitzer Preises, zu der auch dieses Jahr wieder allerlei 42erAutoren im Gänsemarsch anrückten. Der Gig startete am Samstagabend, und als Warm-up gab’s eine Lesung in der Pfarrscheune am Freitag.

Hochgräbers erster Fall im Bankster-Milieu. Ostpreußische Ostern auf dem Gut Fennhusen in den 1920ern. Zünftige erotische Machtspielchen zwischen Autor Alex und Lektorin Anna. Modellbauer Bernd Semmel an der Dachkante des Lebens. Ja, Protagonisten haben’s nicht leicht, wenn 42erAutoren daheim, im Hauptquartier des Vereins, kein Blatt vor den Mund nehmen und mal so richtig auspacken.

Ulrike Renk in der Lesungsecke

Eine quirlige Ulrike Renk moderierte und las aus dem fünften Band ihrer großen Ostpreußen-Saga, Frühling auf Gut Fennhusen. Dort begeht die junge Frederike ihr wohl letztes Osterfest, bevor sie auf die höhere Töchterschule muss. Auch dieser Geschichte aus Ullis Feder liegen wahre Ereignisse zugrunde. Was auf Cordula Hamans Berliner LKA-Ermittler Hochgräber vermutlich nicht zutrifft, auch wenn ihn so alltägliche Dinge plagen wie ein Kater, ein gutes Bündel veruntreuter Zaster und die neue junge Kollegin Claudia Pandora – all das klangvoll gelesen von Beate Paul. Ob feine Lendenfreuden bei instabilen Lendenwirbeln möglich sind, beschäftigt Dorit David in ihrer ziemlich bösen Short Story. Sie sind möglich, garantieren aber noch keinen guten Ausgang einer Geschichte. Weit tragischer geht es bei Beate Paul zu, in deren Text die Erzählerin ein Familiengeheimnis entdeckt. Doch die maximale Tragik des Abends kriegt der Modellbauer Bernd Semmel vor den Latz, dessen geschrumpftes Selbstwertgefühl problemlos in das Hamburger Miniaturwunderland passen würde. Dort zu arbeiten ist zufälligerweise auch der kleine Traum, der ihn in Tom Liehrs Kurzgeschichte vor einem bitteren Ende bewahrt. Oder etwa doch nicht?

Die Pfarrscheune ist voll

Natürlich gab es auch wieder Gaststars. Der fabelhafte Max las die Geschichte des gebisslosen Nachtwächters und Trompetenbläsers Heinz Müller, der ohne Gebiss nicht blasen konnte. Und er las sie dabei genauso unmissverständlich plattdeutsch wie Ulla Bernd, die Theo Storms Gedicht über den Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland vortrug. So unmissverständlich plattdeutsch übrigens, dass der zugegeben sehr preisgünstige Babelfisch des rasenden Reporters aus den zwischenalpinen Baden-Württembergischen Waldlanden heimlich die Flucht ergriff. Mistvieh, technisches!

Die Lyrik des Abends stammte von Sophie Kamann. Sie hatte zwei erstaunliche Gedichte im Gepäck, eins über die Heimtücke der Sozialmedien und ein zweites über Krieg und Liebe und deren Dialektik. Beide trug Sophie frei und im Stehen vor. Das sah einem Poetry-Slam-Auftritt schon sehr ähnlich. Mach genau so selbstsicher weiter, Sophie!

Der erste Satz heißer Geschichten war also schon mal abgeräumt, fehlte noch der zweite am Samstag. Ein Fanfarenzug draußen, das wunderbare Orchester Mambrin drinnen, dazwischen majestätische Kirchenwände, an deren Coolness gefühlte 40 °C Außentemperatur spielend abprallten. Beste Voraussetzungen für die Verleihung des Putlitzer Preises 2019!

Der Ort der Preisverleihung

Tja, wäre da nicht dieser unangenehme Schatten gewesen, der seit einem Jahr über der Gemeinde lag. Mitten im Ort hatte es ja diesen geheimnisvollen Toten gegeben, um dessen Ableben sich nun, nach einem Jahr, Justizia höchstselbst zu kümmern hatte. Und zwar in Gestalt von Richterin Dorit David und Staatsanwältin Ulrike Renk. Die beiden befragte wichtige Zeugen im Publikum, fanden raus, dass der Tote der Sohn des bekannten, ähm, Restsellerautors Rico Beutlich und außerdem tragisch verunfallt war und löste den Fall damit innerhalb von zehn Minuten. Zack, so geht Indizienprozess!

Womit die Luft rein war für gesegnete Feierlichkeiten. Die beiden Staatsbeamtinnen entpuppten sich als Moderatorinnen und führten in Topform durch den Abend. Wie bei der altehrwürdigen Formel Eins der Schumacher-Ära kommt man beim Putlitzer Preis ab Platz sechs in die Punkteränge, weshalb sechs Texte zu lesen waren. Die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Pritzwalk machten das durch die Bank großartig. Was im Übrigen auch auf die Werke als solche zutrifft. Ob die dicke Hedwig, die ihren Job als Strohpresse verloren hat, ein früh zwangsgermanisierter Pole, der mit einer lebenslangen Lüge kämpft, oder der prügelnde Opa, der furchtbar aus der Zeit gefallen scheint und es doch nicht ist. Da sind echte Hammergeschichten drunter, die auch an die Nieren gehen. Eine Liste der Gewinner findet sich übrigens bald auf der entsprechenden Webseite der 42erAutoren.

Die Preisträger des Kurzgeschichtenwettbewerbs

Neben den Texten schlug auch das Orchester Mambrin ein, und zwar richtig. Wer schon mal an einer Preisverleihung eines Literaturwettbewerbs teilgenommen hat, weiß, wie schief gerade die musikalische Untermalung gehen kann. Hier gab es mal eben Vivaldis Vierjahreszeiten, genauer Der Sommer. Ja, richtig gelesen: Vi-val-di. Vivaldi höchstselbst, mit den vielen Breaks, den echt komplizierten Riffs, dem vielfältigen Klangteppich. Und das bei durchaus hohem Speed. Respekt dafür an die Schüler und ihren Lehrer des Pritzwalk-Gymnasiums, das ist mutig und es hat auch funktioniert. So, wie eure anderen Stücke.

Nachdem drei liebevoll getöpferte Gänse an die ersten drei  Gewinner verteilt waren, kam Putlitz zur After-Show-Party zusammen. Bei einem Feuerchen gab’s leckere Spargelsuppe, Schmalzbrot, viele interessante Begegnungen und Gespräche.

Ja, alle Wetter, zwei schöne Abende.

Doch am Ende gibt es trotzdem was zu meckern. Da führt kein Weg drum rum, ernsthaft. Was nämlich nicht unter den Tisch fallen darf, ist das angesprochene Wetter. Nach Jahren werden alle Wetter endlich zum Wettbewerbsmotto des renommierten Putlitzer Preises geadelt und zum Dank klatscht Petrus sämtlichen Anwesenden ein Statement von der pappschwülen Sorte an die Backe. Bei dem Spülküchenwetter hat sich Petrus auf Jahre hinaus für weitere Marketingmaßnahmen disqualifiziert.

Bis zum nächsten Jahr!

Euer Joachim Off

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