Waldesruh

Schreiben zu Musik von Kristin Lange

Jon Lord – Gigue

Der Partyraum von letzter Nacht. Verkatertes Erwachen im Schlafsack auf dem Boden, very eightys. Sechs, sieben, acht Takte Morgenlicht fallen durch große Altbaufenster. Zwei Meter weiter ein längst vergangener Holger G., er sitzt in seinem Schlafsack und dreht sich die erste Zigarette.

Gladiatoren marschieren auf, stolz schreiten sie einher, halten Sonnenstrahlen statt Schwertern in den Händen und nehmen Aufstellung an den Wänden ringsum. Einer von ihnen ‒ hey, du da! Hände aus dem Gesicht! Wir haben Corona, schon vergessen?

Der Raum, Holger G. und die Wächter verflimmern. Eine letzte Spur auf der Netzhaut, jetzt nur noch Erinnerung an die Spur.

Cut. Der dicke, fette Pfannkuchen schleppt sich durch den Wald, erblindet und ertaubt von viel zu viel von allem. Er taumelt kantaper, kantaper von Pilz zu Pilz und schnuppert an ihnen ‒ was ihn belebt, doch insgesamt die Sache nicht besser macht. Immer mehr Pilze schießen aus dem Boden, rote, grüne, gelbe und solche in schreiendem Orange. Der Pfannkuchen, stocktaub, stockblind und stockbedröhnt, pflückt emsig, und als er einen schönen Strauß beisammen hat, da wirft er, hui! ‒ die Pilze in die Luft. Jemand leert einen Eimer Kupfer über den Bäumen aus und der Kuchen dreht sich im Kreis, tanzt, tanzt geil und wild und fängt das Licht in seiner Schürze auf wie Sterntaler.

Cut. Der Partyraum. Spiegel, Kerzen. Ich tanze, wickele mich in bodenlange Vorhänge, die zerbröseln mir unter den Händen. Durch den Saal fegt ein Wind, bläst Staub und Spinnenbeine vor sich her.

Cut. Jemand ist gestorben, vielleicht Kleopatra. Ach nein, es ist eine Wirtshausmagd, blutjung, kaum fünfzehn Jahr. Sie haben sie verurteilt und auf dem Marktplatz erdrosselt, großes Schauspiel, viel Volk. Dem Henker hingen Toastkrümel im Bart, und der zarte, weiße Hals des Mädchens … Sie rudern den Leichnam in einem Boot zur Toteninsel. Die Grille mit Zylinderhut, der Maulwurf im Frack. Nebel überm Fluss, sehr William Turner. Sehr traurig. Alle weinen.

Cut. Zurück im Wald, aus der Ferne ein Trompeten wie von ‒ nein, es sind Elefanten! Sie kommen daher in langer Reihe, Schwanz an Rüssel an Schwanz an Rüssel, unter den Tritten stäubt Gold, der Waldboden bebt. Auf einer Lichtung badet die Herde im Leuchten, fernab aller Blicke. Der Pfannkuchen? Fort. Hat Freundschaft mit einem Findling geschlossen, der einst ein Troll war.

Auftritt: der Hofnarr, mit Minnesang und Schellenklang. Von den Bäumen tropft etwas, am Rand der Lichtung wächst ein Schlagzeug aus dem Nichts. Der Narr spielt ‒ hui und ooooh! ‒ ein Solo aus flüssigem Kupfer. Zu viel für die Elefanten, sie mögen es melodiöser. Sie halten sich die Ohren zu und fliehen diesen Ort. Hetzen, jagen, trampeln durchs Unterholz, Stampede, fang doch mal einer die Scheißelefanten ein! Völlige Auflösung. Der Pfannkuchen schläft ungerührt, offenen Mundes, die Wange geschmiegt an die bemooste Flanke seines neuen Freundes. Speichelfaden, Finale. Beckenschlag, letzter Akkord und ‒

Ruh. Waldesruh.

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