Warum Marie bleiben musste und von der Uhr mit Zauberschlag

Er war da – fast sieben Jahre hatte er in Bad Mergentheim gelebt. Eine Tafel verkündet es noch an dem Haus, in dem er einst wohnte und in welchem heute ein Kaufhaus und eine Filiale einer Optikerkette untergebracht sind. Ein Wanderweg ist nach ihm benannt, den es lohnt zu gehen, weil ein prächtiger Blick bis nach Althausen die Belohnung ist. Im Deutschordensmuseum hat er ein eigenes Zimmer, von dem aus er tagein, tagaus sinnend mit napoleonischer Haltung aus dem Fenster schaut. Und er hat eine Tochter in Bad Mergentheim gelassen: Eduard Mörike.

Tafel_Moerike

 

Frühpensioniert im Alter von 39 Jahren ließ er sich in Märchedol mit seiner Schwester Klara nieder. Verschuldet durch seine Brüder dachte Mörike nicht daran, eine Ehe zu schließen, denn ihm fehlte dazu die materielle Absicherung, wie er meinte. Aber es passierte doch: 1851 heiratete er in der Mergentheimer Schlosskirche die katholische Tochter seines Vermieters und Freundin der Schwester: Margarethe von Speeth. Das hört sich heute so normal an, gab aber damals einen Skandal. »Evangelischer Pfarrer heiratet katholische Kaufmannstochter« hätte die BLÖD damals getitelt – und sicher nicht nur die. Die Freundschaft zu Wilhelm Hartlaub, Mörikes ältestem Freund, kühlte merklich ab. Noch im Jahr der Eheschließung wechselte das Ehepaar nach Stuttgart. Zwei Töchter wurden ihnen geboren: Fanny (1855) und Marie (1857). Immer zog die Schwester Klara mit.

Der Ehe war kein Glück beschieden. Die unterschiedlichen Wesen der beiden Ehegatten schienen auf Dauer nicht zusammenzupassen. Es gab Stimmen, die Margarethe einen Großteil der Schuld zuweisen wollten, weil sie die temperamentvollere von beiden gewesen sei. Andere nehmen eher sie in Schutz, Theodor Storm zum Beispiel, der mit dem Ehepaar befreundet war und mit dem Dichter, nach dessen Tod auch noch mit der Gattin einen regen Briefwechsel pflegte. Sicher spielte es auch keine kleine Rolle, dass immer eine »Dritte im Bunde« vorhanden war: Klara, Mörikes Schwester. 1873 zerstritten sich die Ehegatten und Margarethe zog zurück nach Mergentheim. 1875 versöhnten sich beide wieder. Da war Mörike aber bereits todkrank.

 

Moerike

 

Im Jahr drauf starb die 19jährige Tochter Marie an Schwindsucht und wurde in Mergentheim begraben. Ihr Grab kann man heute noch finden. Zum Alten Friedhof kommt man, wenn man aus der Innenstadt zu Fuß gehen will – was anzuraten ist, denn in Bad Mergentheim sind die Wege nicht weit – indem man die Kapuzinerstraße vor dem Schloss zur Würzburger Straße durch geht, diese überquert und sich dann rechts wendet bis zum Alemannenweg. Kommt man mit dem Auto, durchquert man die Stadt auf der B19 und biegt, kurz nachdem man in die Würzburger Straße eingebogen ist, rechts in die Kaiserstraße ab. Linker Hand findet man dann gleich einen Parkplatz und kann die wenigen Schritte bis zum Friedhof bequem zu Fuß gehen. Marie Mörikes Grab findet man direkt gegenüber der Aussegnungshalle. Man muss eine Stufe hinuntersteigen, um in die Reihe zu gelangen, in der es liegt. »Ihre Seele gefiel Gott wohl, darum eilt Er mit ihr aus diesem Leben« steht neben den Lebensdaten auf dem Grabstein, auf dem ein schlichtes Kreuz aufgesetzt ist. Viel ist über diese Tochter Mörikes nicht bekannt. Ihre Schwester hat immerhin das Haushaltsbuch Mörikes aufbewahrt und später der Stadt übergeben, sodass wir heute sowohl Mörikes penible Buchhaltung kennen – er musste mit knappen Mitteln auskommen –, als auch seinen Humor, den er in Anmerkungen und vor allem durch Zeichnungen in dieser Buchführung untergebracht hat.

Grab_Marie_Moerike

 

Der alte Friedhof ist nicht groß, sodass ein kleiner Spaziergang in den hinteren Teil des Friedhofs kaum beschwerlich fällt. Dort findet sich das Grab Hans-Heinrich Ehrlers (1872 – 1951), eines Schriftstellers, Sohn eines Wachsziehers aus Bad Mergentheim. Er starb nicht in seiner Heimatstadt, sondern in Waldenbuch, im Landkreis Böblingen, südlich von Stuttgart. Der Stadt war er aber so wichtig, dass man ihn ein Jahr nach seinem Tod und seiner Beisetzung nach Bad Mergentheim holte und hier noch einmal bestattete. Man kennt ihn kaum noch, selbst in seiner Heimatstadt gibt es wenige, die ihn noch lesen. Der Wertheimer Dichter Hans Dieter Schmidt schrieb: »Man weiß von ihm, aber man liest ihn kaum noch. Vielleicht sollte man ihn eines Tages entdecken.« 1) Man findet seine schmalen Gedicht- und Novellenbändchen noch hier und da im Antiquariat für wenig Geld und sollte ruhig zugreifen, meine ich. Die Lektüre schmeckt am Anfang fremd, aber nicht unangenehm. So schreibt heute niemand mehr, aber sobald man sich ein wenig in diese alte Zeit verloren hat, fühlt man sich darin nicht unwohl. »Unsre Uhr hat einen Zauberschlag« hieß ein erstes Gedichtbändchen, das mir früh in die Hände fiel, nachdem ich ins Taubertal gezogen war.

 

Unsre Uhr hat einen Zauberschlag.

Horch, sie füllt die Stunde und den Tag.

Was den anderen zerrinnt,

Immerfort uns erst beginnt. 2)

 

Grab_Ehrler

 

Bei schönem Wetter lohnt es, jetzt den Friedhof zu verlassen und sich die Füße anderweitig zu vertreten, etwa zum Wachturm hin, der hoch über Mergentheim thront und guten Ausblick gewährt (einfach die Kaiserstraße weiter hochfahren oder, wenn man sich den Anstieg traut, zu Fuß gehen). Auch der Mergentheimer Kurpark hält einige Überraschungen bereit: etwa einen Klanggarten, einen Rosengarten mit vielen Arten Edelrosen, ein Lapidarium und sogar einen japanischen Garten.

Ihr Horst-Dieter Radke

1) Hans Dieter Schmidt: Eduard Mörike und Hans-Heinrich Ehrler, in: »…muß in Dichters Lande gehen…«, Dichterstätten in Franken, München und Bad Windsheim, S. 177.

2) Hans Heinrich Ehrler: Unsre Uhr hat einen Zauberschlag, Gedichte, Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins, Tübingen und Stuttgart, o. J.

 

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