„Wer hat in dieser schnelllebigen Zeit noch Zeit für lange Romane?“

Ingo-Klopfer

Ein Gespräch mit Ingo Klopfer, Gründer des maringo-Verlags

Es fragte Joan Weng, Bildrechte bei Ingo Klopfer

Die 2001 gegründete Lesebühne get-shorties ist nicht nur die dienstälteste Süddeutschlands sondern nach eigenen Angaben auch die mit den attraktivsten Autoren. Doch der Erfolg hängt nicht nur an den äußeren Reizen der aktuell aus fünf Autoren und einer Autorin bestehenden Truppe, auch die Qualität der Texte ist nicht ohne, und damit das Publikum diese mit heimnehmen kann, wurde schließlich der maringo-Verlag ins Leben gerufen. Zu Anfang noch als hochformatige Mini-Zeitschrift, umfasst das Verlagsprogramm inzwischen fast dreißig Titel und mehrere Hörbücher.

„Auf eurer Website verkündet ihr stolz, eine neue literarische Gattung begründet zu haben: den Lesebühnentext. Wie unterscheidet sich der denn jetzt von der gewöhnlichen Kurzgeschichte?“

Nun, da gibt es einige Dinge, die sich unterscheiden, und diese kombiniert, machen wirklich so was wie eine eigene Textgattung aus. Wir schreiben unsere Text erstmal für die Bühne und unser Live-Publikum und nicht für einen uns unbekannten Leser. Unser Publikum wächst ständig und wir haben ein Stammpublikum, das bestimmte Texte von uns erwartet, so ist das beinahe eine Symbiose zwischen dem Autor und dem Zuhörer und späteren Leser. Wir schreiben für deren Erwartungen, wobei wir natürlich dennoch immer wieder darauf achten, sie neu zu überraschen mit Ideen.

Lesebühnentexte sind sehr authentisch. Das heißt beim Vorlesen ist der Autor eins mit seinem Protagonisten und dies soll auch der Zuhörer/Leser so vermittelt kriegen. Damit entsteht eine große Nähe zwischen dem Autor, seinem Text und dem Publikum. Das Ganze wird sehr persönlich, verliert oft den Abstand zwischen demjenigen auf der Bühne und dem Zuhörer und das bringt dann den Zauber einer Lesebühnenveranstaltung.

 Dazu gehört natürlich auch, dass die meisten Themen unserer Lesebühnengeschichten aus den Bereichen des täglichen Lebens stammen. Oft  ironisch überhöht. Witzig und übertrieben, aber auch in ihrer Dramatik und Spannung so auf den Punkt gebracht, dass sich möglichst jeder im Publikum darin wiedererkennt oder zumindest dieses Gefühl kennt.

Und dann muss die Lesebühnenkurzgeschichte eben kurz sein und auf den Punkt kommen, ohne langes Vorspiel oder langwierige Umschreibungen. Sie muss bereits in den ersten fünf Sätzen das Publikum abholen und in den Text hineinziehen. Und nicht nur der Text muss das schaffen, auch der Autor, der die Geschichte vorträgt, muss hier präsent sein. Wenn diese Kombination aus allem gelingt, dann ist das ein perfekter Lesebühnentext

„Wie beeinflusst das Publikum die Entstehung eurer Texte?“

Nun ja, wie bereits beschrieben, schreiben wir für unser Publikum, das zum einen Teil ein Stammpublikum ist und bestimmte Erwartungen an uns hat, die wir inzwischen auch zu befriedigen wissen, zum anderen, versuchen wir, sie immer wieder zu überraschen: mit Themen und Ideen, mit Textkapriolen und kleinen Leseperfomances, Einlagen.

Und da unser Publikum auch unsere späteren Leser sind, wählen wir nachher auch für unsere Bücher die Texte aus, die, wie oben beschrieben, einfach in jeder Hinsicht gut funktioniert haben.

„Wenn man sich euer Herbstprogramm so ansieht, könnt ihr euch über fehlendes Interesse nicht beklagen. Jetzt mal davon abgesehen, dass jeder so immens attraktive Autoren buchen will, wie erklärt ihr euch diesen Erfolg?“

Nun ja, wir sind in Stuttgart die einzige Lesebühne und heben uns damit ja auch schon von den massentauglichen und inzwischen doch kommerziellen und mainstreamorientierten Slam Poetry- Veranstaltungen genauso ab wie von den eher etwas angestaubten Autorenlesungen in Buchhandlungen oder anderen Veranstaltungsorten, wo eben ein Autor meist 45 Minuten aus seinem neuen Buch etwas vorliest, was die einen Leser bereits  kennen und die anderen sowieso schon wissen. Oftmals sind solche Lesungen reichlich trocken und wenig abwechslungsreich, und nicht jeder gute Autor ist auch ein guter Vorleser.

Und dann kennt man Lesebühnen ja hauptsächlich aus Berlin. Aus der Hauptstadt. Und wenn es dann so was auch in Stuttgart gibt, hat das doch gleich so einen Berliner Touch. Bekannte Autoren, wie Wladimir Kaminer und Horst Evers, sind aus Lesebühnen hervorgegangen und sie betonen das auch immer wieder. Man nimmt hier   etwas Popularität mit. Ich habe das Anfang der 90er Jahre selbst in Berlin miterlebt und mitgemacht, habe mit den oben Genannten damals schon zusammen gelesen und das dann später hier nach Stuttgart importiert. Und immerhin ziehe ich das seit beinahe 15 Jahren erfolgreich durch. Das ist selbst schon eine Erfolgsgeschichte, die für Aufmerksamkeit sorgt, aber auch für Verlässlichkeit bürgt.

Wir machen so den Spagat zwischen Lesung und Kabarett, zwischen Literatur und Unterhaltung, und durch die vielen Autoren an einem Lesebühnenabend sind Abwechslung, Kurzweil und Überraschung garantiert.

Stadtbibliotheken, zum Beispiel, laden uns gerne ein, um ihr Image als Literaturveranstalter für Silberlöckchen endlich aufzubrechen. Und das gelingt meistens.

„Ihr habt in eurem Verlagsprogramm ja nicht nur Sammlungen von Lesebühnentexten, sondern auch Sammelbände mit Kurzgeschichten einiger eurer Autoren. Warum denn immer Kurzgeschichten, warum nicht mal ein Roman – muss ja nicht gleich ein 2000-Seiten-Wälzer werden?“

Naja, stimmt nicht ganz. 2014 erschien unser erster Roman Minne von Nicolai Köppel (284 Seiten), der übrigens gerade in der engeren Auswahl für den Thaddäus-Troll-Preis 2015 ist. Demnächst erscheint vom gleichen Autor auch noch eine Novelle mit dem Titel ‚Schall & Rauch‘.

Na und dann schreiben wir ja vor allem eben Kurzgeschichten, und Kurzgeschichten führen ja auch bei den meisten Verlagen so eine Art Stiefmütterchendasein. Kaum einer verlegt Kurzgeschichten. Und ich sehe das auch als Nische für uns, in dieser großen unübersichtlichen Verlagslandschaft in Deutschland.

Kurzgeschichten entsprechen dem Zeitgeist. Wer hat in dieser schnelllebigen Zeit noch Zeit für lange Romane (außer im Urlaub)? Die meisten Leser lesen, – glaube ich,abends vor dem Einschlafen und da schaffen sie gerade mal 10-30 Seiten und dann legen sie den Roman weg, schlafen ein und wenn sie dann wieder zum Lesen kommen, müssen sie mindestens eine Seite zurückblättern, um wieder reinzukommen. Eine Kurzgeschichte ist da der perfekte Miniroman. Mit Einführung, Höhepunkt, Pointe und Ende.

Es muss natürlich noch gesagt werden, dass Büchermachen heute nicht schwierig und teuer ist. Das Problem des Buches ist verkauft  und an den Leser gebracht zu werden.

Da wir auf der Bühne präsent sind und viele Lesungen machen, verkaufen wir unserem Publikum direkt unsere Bücher – wenn ihnen die Lesung gefallen hat. Und da die meisten unserer Lesungen Gefallen finden und die Bücher preiswert und gut zum Mitnehmen und Einstecken sind, haben wir auch viele Käufer.

In einer Buchhandlung wären und sind wir nur ein Buch unter so vielen neuen Büchern, deren Autoren man nicht kennt, und so greifen dann viele zu den durch teure Werbung manipulierten Bestsellerlistenbüchern. Unbekannte Autoren bleiben da meist auf der Strecke. Wir sind in der Buchhandlung, wo wir nicht auftreten, ebenso unbekannt, aber auf der Bühne und bei unseren Veranstaltungen kennt  und kauft man uns.

„Hörbücher habt ihr im Verlagsprogramm, aber keine E-Books. Warum?“

Da sind wir wohl noch etwas der Zeit hinterher und wir sind daran, das auch über unsere Website demnächst mal anzubieten. Die meisten unserer Leser und wir selbst sind eher alte konservative Buchleser, die gerne noch was Gedrucktes in der Hand halten.

„Für unsere Leser ist es immer am Interessantesten zu erfahren, wie man einen Text bei euch veröffentlicht kriegt. Geht das überhaupt oder muss man Lesebühnenmitglied sein?“

Nun ja, auch hier: nun ja. Wir verkaufen die meisten Bücher während einer Veranstaltung und natürlich an unser Stammpublikum, das uns kennt und dann gezielt in der Buchhandlung nach uns fragt. Ein Autor, der nicht bei uns mitliest, würde einfach auch nicht gekauft werden. Ich merke das sogar schon, wenn wir ein Buch auf dem Büchertisch liegen haben, dessen Autor an dem Abend nicht gelesen hat. Es verkauft sich nicht.

Deswegen ist  es eigentlich schon Vorausetzung, dass der Autor bei uns mitmacht. Aber das ist kein Gruppenzwang und wir sind stets für neue AutorInnen offen, allerdings muss eben der Text, so wie oben beschrieben, ein Lesebühnentext sein ansonsten passt das nicht zur Gesamtveranstaltung. Und dann sind alle irgendwie unglücklich, aber am meisten der neuen Autor. Haben wir leider schon öfter erlebt.

„Und zum Schluss, die übliche Frage: Welche Titel sind denn aktuell besonders zu empfehlen, an welchem eurer Bücher führt diesen Herbst kein Weg vorbei?“

Nun ja, sehr zu empfehlen sind die beiden Neuerscheinungen von 2014. Also Nicolai Köppels Roman Minne und auch der krasse und harte Kurzgeschichtenband von Harald Riegg Echt nur Spaß.

Aber natürlich möchte ich auf die vier neuen Titel hinweisen, die jetzt im Oktober 2015 erscheinen werden.

Es sind drei  Bücher und zwei  Hörbücher.

  1. Das neue get shorties-Kurzgeschichtentaschenbuch Nr. 15 mit dem wundervollen Titel: Wenn nicht du, wann dann beste Lesebühnenkurzgeschichten
  2. Die neue gets horties edition Werd endlich Erwachsen von der Autorin Carolin Hafen. Hier auf 140 Seiten eine geballte, sehr unterhaltsame Kurzgeschichtensammlung unserer derzeit einzigen Autorin, die diese ungleichgewichtige Geschlechterrolle bei der Lesebühne toll in ihren Texten meistert.
  3. Dann, wie oben bereits angedeutet, eine kleine feine Novelle von Nicolai Köppel, mit dem Titel Schall & Rauch
  4. Ende Oktober dann eine neue Doppel-CD mit den besten Lesebühnentexten live. Eine Fortsetzung unseres Hörbuchs von 2009 mit einer Audio-CD zum neuen Buch und einer mp3-CD mit über 240 Minuten Lesebühnentexte von und auf der Bühne.
  5. Und zum Schluss noch eine Hörbuchedition mit dem Autor und Kabarettisten Ralf Welteroth aus Freiburg, der sein eigenes kabarettistisches Programm hat, aber auch viel bei unserer Lesebühne mitmacht. Ein Hörbuch, das mit virtuosen, nie gehörten, wundervollen Texten und einer ganz eigenen Sprach- und Leseperformance besticht.

„Vielen Dank für das Gespräch.“


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