Eva-Maria und Jürgen Block
„Wer ist Hans Meier?“, das fragen wir uns, Eva und ich, nach Wochen der Recherche immer noch. Ganz genau wissen wir nur, dass er am 26. August 1914 geboren wurde und am 12. November 2000 in Bremen starb. Wir besuchten Weggefährten, Gedenkstätten, Archive, aber langsam müssen wir einsehen und akzeptieren: Unser Bild vom Schriftsteller, Redakteur, Widerstandskämpfer, Ehemann, Vater und Großvater, Nachbarn, Politiker, Wissenshungrigen, Angler, Camper und Schwimmer wird nie vollständig sein. Alle Menschen, die ihn aus den verschiedensten Zusammenhängen kannten, beschreiben ihn als zurückhaltenden, freundlichen und gebildeten Mann, der eine stille Würde und Autorität ausstrahlte, ja, ein guter Bekannter bezeichnete ihn gar als Gentleman, der nie ohne Krawatte aus dem Haus ging.
Neulich habe ich aus Verzweiflung meine KI gefragt.
Antwort: „Hans Meier ist ein in Bremen erfolgreicher Maler, der auch mit Ausstellungen hervorgetreten ist, aber keine nationale Bekanntheit erlangt hat.“ Knapp daneben ist auch vorbei: Hans Meier, der 1914 in der Malerstraße in Bremen-Hastedt, einem Arbeiterquartier, geboren wurde, hat natürlich den Handwerksberuf Maler erlernt. Aber vielleicht haben Eva und ich die KI mit unserer Fahrt nach Bremen in die Irre geführt. Wir suchten zuerst die Bremer Kunsthalle (Eva wollte unbedingt die Ausstellung von Pipilotti Rist sehen) und danach unsere zweite Recherchestation auf, die Ostertorwache, die schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite liegt. In dem Gefangenenhaus der Ostertorwache war Hans Meier in der Nazizeit wegen antifaschistischer Widerstandstätigkeit und „versuchten Hochverrats“ von Oktober 1936 bis April 1939 eingesperrt. Die Ostertorwache ist schon ein symbolischer Ort; gegenüber von Kunsthalle und Theater am Goetheplatz und einen Steinwurf vom Polizeihaus entfernt, in dem auch Hans Meier mehrmals verhört wurde und wo heute die Stadtbibliothek residiert.
Knast von 1823 bis 1996 mit dorischen Säulen:

Die Ostertorwache liegt am Rande der Innenstadt inmitten der beschaulichen Wallanlagen, die zum Spazierengehen einladen und die von Sommervillen wohlhabender Bürger gesäumt sind. Das Gefangenenhaus wurde, nachdem Abschiebehäftlinge 1996 aus Protest gegen Überfüllung einen Brand gelegt haben, wieder zur „Weißen Wache“ aufgehübscht. Heute beherbergt sie die Ausstellung des Bauhauskünstlers Wilhelm Wagenfeld. Ein kleiner Teil des ehemaligen Gefangenenhauses, ein Gang mit fünf Zellen, ist als Dokumentationsstätte hergerichtet und kann jeden ersten Samstag eines Monats besichtigt werden, was Eva und ich neulich getan haben.
Hier stecken 170 Jahre Gefangenenerfahrungen
Im Gefangenenhaus wurden „Schutz“- und Untersuchungshäftlinge untergebracht, aber Hans Meier hat hier seine Strafe abgesessen, da für die Renovierung Gefangene mit Handwerksfähigkeiten eingesetzt wurden. Die Gestapo hatte unweit am Wall ihr Hauptquartier, ging aber im Gefangenhaus ein und aus und hatte im Kellergeschoss einen eigenen Raum. Laut Angaben von Hans Meier habe er außer einer Backpfeife keine körperlichen Misshandlungen erleiden müssen. Von den seelischen Folgen, über Jahre Tag und Nacht der absoluten Willkür der Gestapo ausgeliefert zu sein, scheint er mit seinen Freunden und Bekannten kaum gesprochen zu haben; nur beim schriftlichen Wiedergutmachungsantrag von 1947, aufbewahrt im Staatsarchiv, hat er darüber geschrieben.
Im Gefangenenhaus begann Hans Meier seine Entwicklung zum Schriftsteller.
Er soll später oft erzählt haben, dass der Knast für ihn seine „literarische Universität“ war. Die anstaltseigene Bibliothek war nur oberflächlich von unerwünschter Literatur gesäubert worden. So konnte Hans Meier, um seine regelmäßig aufkommende verzweifelte Stimmung wieder zu heben, die Short Storys von Ernest Hemingway lesen, die ihn nachhaltig beeinflussen sollten. Der „Hochverräter“ und Maler Hans Meier war damals vielleicht der einzige, der in Bremen ohne Angst vor Verfolgung Romane von Romain Rolland, Hermann Hesse und Ricarda Huch lesen konnte.
Vergrößerung eines Passfotos des späteren Schriftstellers als ca. 19-jährigen Mann auf einer Informationstafel in der Dokumentationsstelle der Ostertorwache
Hans Meier verhält sich als politischer Gefangener immer höflich gegenüber dem Wachpersonal. So wird ihm als Gegenleistung auch schon mal ein zweites Buch oder ein Extrastück Brot zugesteckt. Aber der Ich-Erzähler in der Geschichte „Grüne Bohnen“ erklärt sich das Verhalten der Wächter „als Art, das Gewissen zu beruhigen“. Denn es sind „ältere Männer, die schon zu der Zeit Gefangenenaufseher waren, als in dieser Stadt noch ein Sozialdemokrat der Justiz vorstand, der heute (zwischen 1936 und 1939, JB), so viel ich weiß, pensioniert ist“. Hans Meier ist auch ein politischer Autor, dessen Erzähler mehr nebenbei, aber doch offen sagt, dass ehemalige Nazigegner weiter ihren Wärterdienst schoben oder sich pensionieren ließen.
Außerdem stellt sich der Erzähler als Gefangener dumm und ahnungslos, denn er will seine Genossen, die noch nicht eingesperrt sind, nicht verraten. Jeder Häftling, der ihm in die Zelle gelegt wird, könnte ein Spitzel sein. Hat Hans Meier deshalb seine höfliche Zurückhaltung im späteren Leben nie ganz ablegen können?
Viele Kurzgeschichten von Hans Meier handeln vom Faschismus in Deutschland, aber zwei Geschichten spielen direkt im Knast: „Der Bibelmann“ (Erstveröffentlichung: 1976) und „Grüne Bohnen“ (1978). Fast vierzig Jahre brauchte Hans Meier, um seine Erfahrungen im Gefangenenhaus in eine literarische Form zu bringen. Wie sein Herausgeber des Erzählungsbandes „Kolonie Raffgier“ Thomas Metscher berichtet, wurden ihm Anfang der 70er Jahre druckreife Geschichten vorgelegt. Wie Hans Meier es schaffte, anscheinend ohne Hilfe von anderen Autoren sein Schreiben so zu perfektionieren, ist für mich ein Rätsel.
In der Geschichte „Der Bibelmann“ geht es darum, dass zwei Gefangene, die verschiedener nicht sein können – der Ich-Erzähler ist Kommunist, sein Zellengenosse ein tiefgläubiger Zeuge Jehovas – für ein Jahr eine Zelle teilen. Für den Erzähler war der Bibelmann ein „wegen seines Fanatismus ein armer Irrer – der Leser möge mir verzeihen, ich war damals ganze 19 Jahre alt und wie viele junge Marxisten voller Überheblichkeit“. Am Ende weigert sich der Bibelmann Karl Hahn, seinem Glauben abzusagen. Der Erzähler versucht ihn verzweifelt, davon zu überzeugen, einfach zu lügen, um sich zu retten, aber umsonst. Karl Hahn verabschiedet sich mit den Worten: „‘Der Herr möge dich beschützen.‘“ Erzähler weiter: „Ich habe geheult, als sie ihn abholten (ich war erst 19 Jahre, bedenken Sie das)“. Der Erzähler fragt sich dreißig Jahre nach dem Naziterror: „Ob der Herr mich beschützt hat?“ Ihm ist erst jetzt beim Erzählen klar geworden: Die Nazis, die „Bestien“, haben, nur weil er an Gott glaubte, im August 1943 im KZ Sachsenhausen „meinen Freund Karl Hahn“ erschlagen.
Der Unterschied ist bedeutend: Der Erzähler behandelt die Wärter freundlich, aber Karl Hahn ist sein Freund.
Literatur ist ein Medium der Erinnerung und der Menschwerdung; das zeigt das Werk des fast verlorenen Schriftstellers Hans Meier.
Die erste Kurzgeschichtensammlung von Hans Meier, 1976 in Fischerhude erschienen
Ihre Eva-Maria und Jürgen Block
Kleine Liste literarischer Texte von Hans Meier:
- Kolonie Raffgier. 10 Erzählungen, Fischerhude (Atelier im Bauernhaus) 1976.
- Damals im April. Alltagsgeschichten von kleinen und großen Gaunern, von Krieg und Frieden und vom Widerstand. Mit zwölf Illustrationen von Niko Timm, Köln (Bund-Verlag) 1990.
- „Der Bibelmann“ (Kurzgeschichte), in: Kolonie Raffgier, 1976, S. 32 – 36; und in: aus der nicht ganz freien hansestadt bremen, Band 3, hg. von der Werkstatt Bremen im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, o.O. 1980, S. 215 – 217.
- „Grüne Bohnen“ (Kurzgeschichte), in: Kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf, 2 / 1978, S. 35 – 44; und in: Damals im April, 1990, S. 28 – 42.
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