Wer nach Rezept kocht, ist feige

Wer nach Rezept kocht, ist feige ist eins meiner Lebensmottos. Der Spruch hängt sogar in meiner Küche.

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Ich koche für mein Leben gern, es ist eine kreative Aufgabe, etwas, was mich inspiriert. Ich schreibe auch für mein Leben gern, deshalb findet man in meinen Büchern auch immer wieder Kochszenen.

Wieso eigentlich? Kochen ist eine sinnliche Tätigkeit, finde ich, wenn man nicht nur die Tiefkühlpizza lieblos in den Ofen schiebt. Es ist sinnlich, atmosphärisch, man kann alle Sinne aktivieren.

Wenn ich Gäste einlade und ein mehrgängiges Menü plane, bin ich Wochen vorher beschäftigt. Ich schaue nach saisonalen Gemüse und Obst – im Dezember wird es bei mir nie Erdbeeren geben und Spargel ganz sicher nicht im Herbst – ich plane ein Menü, so wie ich ein Buch schreibe.

Zuerst ist da die Idee. Ich will Freunde einladen – und das tue ich auch. Gäste sollten in etwa zueinander passen, das ist nicht immer so ganz einfach. Habe ich aber meine Gästeliste zusammen, kann es an das Menü gehen. So ähnlich ist das auch, wenn ich ein Buch schreibe – ich brauche mein Personal, meine Charaktere. Sie sollten eine gewisse Spannung mitbringen, aber sich auch ergänzen. Ein Buch über Leute zu schreiben, die sich nichts zu sagen haben, ist bestimmt spannend, aber nicht ganz meine Kragenweite.

Dann plane ich das Menü – mehrere Gänge sollten es sein. Die Gänge bauen aufeinander auf, sollten immer verschiedene Komponenten enthalten – süß, sauer, salzig, weich, knusprig usw. –, um alle Sinne anzusprechen. Und es sollte eine Geschmackssteigerung geben, bis hin zum Showdown – dem Hauptgang. Das Dessert ist dann der Epilog. So ist es auch beim Aufbau eines Buches – eine Einleitung, die einen einstimmt, eine Vorspeise, die anregt, ein Zwischengang, der die Neugier weckt, ein Shot oder Sorbet, das die Nerven schont und auf das fulminante Ende hinweist.

Kochen und schreiben haben viel gemeinsam, finde ich. Man muss planen, austarieren, überlegen, kosten, ausprobieren, immer wieder von vorne anfangen, und es dann aber irgendwann durchziehen. Ich möchte meine Gäste überraschen, sie zum Verzücken bringen, ihre Sinne anregen, sie begeistern und ihnen einen gelungenen Abend bereiten. Bei meinen Lesern ist das ähnlich – wobei meine Leser gerne etwas länger an meinen Büchern knabbern dürfen als nur einige Stunden.

Übersättigt darf niemand sein – weder der Gast noch der Leser, aber hungrig sollte auch niemand zurückbleiben.

Viele Autoren lassen ihr Personal in den Büchern kochen. Manchmal finde ich das gut, manchmal nicht. Es kommt darauf an, wie es gemacht ist. Kay Scarpetta, die Romanfigur von Patricia Cornwell, kocht italienisch. Und das tut sie gut. Es gibt zwei Scarpetta-Kochbücher, die man sich aber sparen kann, denn es sind einfach italienische Gerichte, dazu braucht man nur gute Pasta, frische Kräuter, gutes Olivenöl und einen hervorragenden Wein –jedes andere italienische Kochbuch liefert in etwa diese Rezepte.

Ich lasse mein Personal, meine Figuren, auch kochen. Ein Kochbuch von mir gibt es nicht, wird es auch nie geben. Zum einem sind die Zutaten und Rezepte aus älteren Zeiten nicht mehr adäquat – es wäre auch verdammt schwierig, den Getreidebrei, so wie er früher gegessen wurde, heute zuzubereiten, denn kaum einer hat offenes Feuer in der Küche, wo gefüllte gusseiserne Kessel stunden- oder sogar tagelang köcheln können. Man würde das auch nicht essen wollen, vermute ich – ich zumindest nicht. Porridge ist dagegen lecker.

Zum anderen nehme ich mein Motto tatsächlich ernst – wer nach Rezept kocht, ist feige. Deshalb besitze ich auch keine Küchenwaage. Das macht es dann schwierig, wenn man ein Rezept aufschreiben soll – man nehme in etwa einen guten Schuss Öl, etwas Mehl …

Und dazu kommt noch, dass ich zwar immer plane, aber doch recht chaotisch bin. Und dann variiere ich einfach. Das geht dann so: Oh, ich sollte eigentlich Erbsen nehmen, aber ich habe noch frische Saubohnen, das geht doch bestimmt auch? Und statt Sternanis nehme ich lieber Zimt. Kartoffeln? Wie langweilig, ich nehme Topinambur oder Süßkartoffeln. Und ab dem Frühjahr wird sowieso geschaut, was der Garten hergibt. Das ist tausend Mal besser als nach Rezept zu kochen.

Für alle, die jetzt lächeln, hänge ich ein paar Fotos von dem letzten Menü an, das ich gekocht habe. Rezepte gibt es allerdings aus genannten Gründen nicht.

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Ihre Ulrike Renk

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