„Wir haben einen sehr freien Buchmarkt, in dem es jede/r mit Fleiß und Talent zu etwas bringen kann“

 

Ingrid Haag im Gespräch mit Susanne Pavlovic – Teil 1

Susanne „Textehexe“ Pavlovic, Jahrgang 1972, ist Autorin, freie Lektorin und Expertin für Selfpublishing. Sie schreibt für die Autorenzeitschriften „Federwelt“ und „der selfpublisher“, ist Referentin bei der Leipziger Autorenrunde und online bei buchreport.de und stellt Schreibtipps als Videos ins Netz. Als Autorin ist sie in der Phantastik zu Hause. Der erste Band ihrer Romantrilogie „Feuerjäger“, erschienen im Amrûn Verlag, wurde mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet.

Susanne, Selfpublishing verliert den Schrecken. Immer mehr Verlagsautorinnen und -autoren wagen den Schritt. Was sind aus deiner Sicht die Gründe dafür?

Die sind individuell verschieden, nehme ich an. Ich habe mit erfolgreichen Verlagsautoren zu tun, die gerne ein Projekt verwirklichen möchten, das beim Hausverlag nicht ins Programm passt. Andere werden ungeduldig, weil nach ihrem Dafürhalten die Verlage nichts für ihre Bücher tun – keine Werbung, keine Lesungen, keine Messepräsenz. Die haben dann so das Gefühl, in der Midlist zu versauern, und fragen sich, wofür sie dem Verlag vom Gewinn abgeben, wenn sie unterm Strich doch die ganze Medien- und Öffentlichkeitsarbeit selber machen müssen. Die Idee liegt dann nahe, auch gerne den ganzen Gewinn ausgeschüttet zu bekommen, wenn man schon die ganze Arbeit macht. Noch andere haben die Rechte an älteren Titeln zurückbekommen und möchten sie weiterhin für ihre Leserinnen und Leser verfügbar halten.
Einen zusätzlichen Anreiz bieten die großen Gestaltungsspielräume – Selfpublisher können Covergestaltung, Titel und Veröffentlichungsform selbst bestimmen. Außerdem ist Selfpublishing schnell und flexibel – ich muss nicht auf das Herbstprogramm des übernächsten Jahres warten, bis ich mein Buch gedruckt sehe, sondern kann es binnen weniger Wochen verfügbar machen. Und nicht zuletzt verdienen Autorinnen an einem erfolgreichen SP-Titel mehr als an einem vergleichbar erfolgreichen Verlagstitel, weil die Margen deutlich höher sind.

Aber es heißt doch: Verbau dir nicht deine Verlagskarriere, wenn du selbst publizierst! Ist das gar nicht so?

Heute nicht mehr. Das Argument stammt tatsächlich noch aus vordigitalen Zeiten, in denen es abseits der regulären Buchbranche einen Haufen Räuber und Wegelagerer gab, auch bekannt als Druckkosten-Zuschussverlage, die den hoffnungsvollen Autoren das Geld aus der Tasche zogen. Wer einmal auf so jemanden reinfiel, outete sich als branchenfremd und sehr naiv und war für den weiteren Karriereweg „verbrannt“ – und darüber hinaus vermutlich verschuldet. Es gab also tatsächlich nur den einen anerkannten Weg zur Veröffentlichung: den über einen Verlag. Die Verlage verstanden und verstehen sich als Qualitätsinstanz. Was gut und professionell ist, darf rein, was das nicht ist, nicht. Übersehen wird dabei meist, dass auch großartige, literarisch anspruchsvolle, erzählerisch wegweisende Manuskripte draußen bleiben müssen, wenn sie nicht ins Marketingkonzept des Verlages passen. Dem Grunde nach ist das völlig okay, ein Verlag ist ein Unternehmen, das wirtschaftlich arbeiten muss, nur herrschte in der Branche lange die verquere Logik vor: „Na, wenn das Manuskript gut wäre, wär’s ja veröffentlicht worden“. Und damit wurde unveröffentlichten Autoren und Autorinnen automatisch künstlerisches Scheitern attestiert. Diesen Mechanismus haben wir durch das Selfpublishing aufgebrochen. Jetzt kann jeder Autor/jede Autorin selbst beweisen, was sein/ihr Manuskript taugt.

Du sagst es. Jede, jeder kann heutzutage ein Buch publizieren. Und genau deshalb haben wir ein Qualitätsproblem, heißt es. Stimmt das wirklich?

Sagen wir, wir haben doch erhebliche Unterschiede in der Qualität. Aber auch unter den Selfpublishern setzen sich diejenigen durch, die ihrer Zielgruppe ein Produkt mit erwartbar hohen Qualitätsstandards bieten. Die ganz gorkeligen, naiven Veröffentlichungsversuche von Menschen mit eher verkümmerter Selbstkritik gibt es. Aber die verschwinden auf den üblichen Selfpublishing-Plattformen sehr schnell in der Versenkung.
Allerdings möchte ich die Frage nach der Qualität als solche mal hinterfragen. Brauchen wir eine Instanz, die schlechte von guter Literatur trennt und uns vor der schlechten verschont? Darf sich ein Liebesroman, der von tausenden Leserinnen geliebt wird, obwohl wir zum hundertsten Mal die Geschichte vom Millionär und dem grauen Mäuschen erzählt kriegen, nicht Literatur nennen? Wer entscheidet, was qualitativ gut ist und was nicht?
In meinen Jahren in der Selfpublishing-Szene habe ich gelernt, dass wirtschaftlicher Erfolg –  gleichbedeutend mit: ein Haufen begeisterter Leser – nicht immer mit dem einhergeht, was ich als literarische Qualität betrachte. Aber das braucht’s auch gar nicht. Die Bücher, die das Herz vieler Leserinnen und Leser berühren, werden erfolgreich, und es gibt keinen „Gatekeeper“, der entscheidet, wer sich daran versuchen darf und wer nicht. Insofern haben wir im Selfpublishing die Basisdemokratisierung des Buchmarktes.

Okay, verstanden. Also Selfpublishing. Wenn ich das jetzt machen will, wie gehe ich das am besten an?

Besonders wichtig ist aus meiner Sicht ein gutes Netz aus Partnern. Selfpublishing unterscheidet sich im Schreiben ja nicht von der Arbeit für Verlage, nur in dem, was danach kommt. Selfpublisher müssen ihren Markt gut analysieren, ihre Zielgruppe kennen. Sie müssen ein bisschen Marketing können oder bereit sein, sich das draufzuschaffen. Und sie müssen Geld in Dienstleister investieren, denn wer alles selber macht, kann selten alles gleich gut. Gerade Posten wie Cover oder Buchsatz werden gerne unterschätzt, und dann fragt man sich hinterher, warum niemand das Buch mit dem tollen Urlaubsfoto und der originellen Comic-Sans-Schrift als Cover kaufen will. – Ich übertreibe, aber viel weniger, als ich gerne würde.
Die erste Station ist die Zusammenarbeit mit einem freien Lektor/einer freien Lektorin. Wenn man sich hier jemanden sucht, der sich im Selfpublishing auskennt, kann er oder sie auch nach der direkten Textarbeit beratend tätig sein.

Wir wandern also alle ab. Was heißt das denn für die Verlage? Und für die Agenturen ?

Das heißt, sie müssen den Autorinnen und Autoren bessere Angebote machen, wenn sie sie halten oder gewinnen wollen. Autoren haben im Selfpublishing eine leicht erreichbare, gut machbare, attraktive Alternative. Wenn ich heute veröffentlichen will, muss ich nicht zum Verlag. Und das stärkt auch die Verhandlungsposition der Autoren, die gerne beim Verlag sind.
Ich beobachte aber auch, dass das System in beide Richtungen sehr durchlässig ist. Kein erfolgreicher Selfpublisher, der nicht schon ein Angebot von einem Verlag bekommen – und nicht selten freundlich lächelnd abgelehnt – hätte. Auch für Agenturen sind erfolgreiche Selfpublisher interessant. Und viele erfolgreiche Selfpublisher sind auch durchaus nicht abgeneigt, mal ein Projekt mit einem Verlag zu machen und von der Teamarbeit zu profitieren. Letztlich haben wir es heute mit einem sehr freien Buchmarkt zu tun, in dem es jeder, jede mit Fleiß und Talent zu etwas bringen kann…

Susanne Pavlovic im Netz: www.textehexe.com; www.textehexe-fantasy.com

Fortsetzung folgt am 30.08.

Teilen:

Schreibe einen Kommentar