Amos liest: Dietmar Sous – Bodensee

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Matthias sagt „Leni“ zu seiner Mutter. Sein Vater ist ein Rüpel, der verdient keinen Namen. In der Mietwohnung wird Neujahr 1962 gefeiert. „Maulheld“, „Wichtigtuer“, so nennt der Vater seinen Sohn. Einen Gymnasiasten, der auf feinen Herrn macht und Latein kann, brauche kein Mensch. Geburtstag am dritten Januar, das kennt Matthias schon, da gibt es immer Geschenke, die er nicht wollte. Diesmal ist der Wunsch eine Bluejeans. Leni hat ein blaues Auge, ihm sei die Hand ausgerutscht, sagt Vater. Zum wiederholten Mal erzählt er von seinem Lebensweg. Fünfzehn Mark in der Fabrik, 48-Stunden-Woche, der Herr Gymnasiast lernt Sinus und Kosinus! Schule ist auch nicht so der Renner. Mathias’ Tischnachbar Havenstein hat am 25. Dezember Geburtstag, der ist an den Kummer gewöhnt, wie Matthias auch. Die Lehrer hacken auf ihm rum, die Unterrichtsmethoden, so ist die einheitliche Meinung der Schüler, sind mehrheitlich Nazimethoden.

Da ist es eine Erholung, auf dem Schulklo oder wahlweise unter dem Kaiserplatz auf der öffentlichen Toilette mal eine zu rauchen. Entspannung gibt es gelegentlich für den Ich-Erzähler durch Christel. Sie wohnt mit ihren Eltern im gleichen Haus, Parterre. Sie ist schon fast eine richtige Frau, einige Jahr älter als Matthias. Sobald er etwas Geld aufgetrieben hat, ab damit zu Christel, wenn sie sturmfreie Bude hat, umsonst macht sie es nicht. Dann lässt er seine Hosen herunter, sie zieht Bluse und BH aus, mit ihren Händen sorgt sie für die nötige Befriedigung.

Einschreiben von Onkel Hannes, darin ein Fünfziger für den Neffen, als verspätetes Geburtstagsgeschenk. Klar, investiert wird in Christel und Bluejeans. Mit dem Geldsegen ist auch eine Einladung an den Bodensee gekommen. Dort lebt und arbeitet Lenis Bruder. Für den Schwager hat der Vater nichts übrig. Ein Angeber, sagt er, Modebranche, sei doch ähnlich wie ein Puff. Matthias’ Freude über das Geld und die Einladung schlägt jäh um in Sorgen, als Leni sich gerne Arbeit suchen möchte. Zack, aus mit Idylle. „Willst du mich vor allen Leuten lächerlich machen? Sollen die mich für einen Schlappschwanz halten, der seine Familie nicht allein ernähren kann?“, brüllt der Vater. Dann geht es aber richtig zur Sache und später dann doch an den Bodensee.

Auf knapp 150 Seiten werden die Familie, der Sohn Matthias, Havenstein, Vater, Bruder, Schwägerin und überhaupt das ganze Haus mit ihren Mietern und Mieterinnen in ihrem ganz normalen Leben beschrieben.

Sous erzählt munter drauflos. Der Lesende kommt mit in die Schule, hört und sieht das Geschrei der Nachbarn, wenn es mal wieder Zoff gibt. Nebenbei beschreibt der Autor vortrefflich die Gesellschaft der 60er-Jahre.

Das Buch Bodensee ist ein wunderbares, leicht zu lesendes Buch. Mit Humor und schlagfertigen Dialogen nimmt es jeder tragischen Wende die Schwere. In einem Zug habe ich es durchgelesen, es hat mich nicht losgelassen.

Amos Ruwwe

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