Horst-Dieter liest Steffen Brück – Sonst war nichts, Ein Roman in Miniaturen

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Wer von der weit verbreiteten Vorstellung ausgeht, ein Buch müsse den Leser oder die Leserin sofort „hineinziehen“, der wird mit diesem Roman nichts anfangen können. Wer ein Buch nach den ersten Sätzen aus der Hand legt, wenn es nicht gleich begeistert, wird kaum über die erste Seite hinauskommen. Wer sich von einem Buchcover gefangen nehmen lassen möchte, einen Blickfänger sucht, der wird dieses schlicht in weiß daherkommende Buch übersehen.

Aber schade wär’s, wenn auch sonst nichts war.

Nach dem ersten Blick ins Buch dachte ich, ich würde jeden Tag ein Kapitel lesen. Hundertachtundsechzig davon gibt es. Gut ein halbes Jahr hätte ich daran zu lesen. Doch schon auf der ersten Seite wurde ich diesem Vorsatz untreu. Nachdem ich die drei Zeilen gelesen hatte, wollte ich wissen, was da eigentlich nichts von Belang war, wie der Titel behauptet. Schon das zweite Kapitel (acht Zeilen) wurde dem Titel untreu, wenn auch nur marginal. Kapitel drei war eine Steigerung auf zwölf Zeilen, während Kapitel vier auf eine Zeile zurückfiel. Mit Kapitel fünf ging die Geschichte erst richtig los und der gute Vorsatz – wie üblich – zum Teufel.

Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der in den 1960er-Jahren geboren wurde („Als er geboren wurde, war nicht mehr Adenauer und noch nicht Brandt …“) und früh seinen Vater verliert. Dieses traumatische Erlebnis zieht sich durch den ganzen Roman, bis in die Zeit, als der Mann selbst Kinder hat, eigentlich bis zum Ende. Erzählt wird in wechselnden Perspektiven, was anfangs etwas irritierend ist, später dann aber, bei der Knappheit der Erzählweise, einen besseren Blick auf den Protagonisten gibt. Nebenfiguren, selbst wenn sie ein bisschen überzeichnet werden, bleiben blass. Auch die Partnerin und spätere Ehefrau sowie die Kinder treten nie mit derselben Deutlichkeit hervor wie der Protagonist. Das ist aber kein Manko des Romans, sondern eher ein Alleinstellungsmerkmal. Wie auch die Form. Hundertachtundsechzig Kapitel, nur wenige länger als eine Seite. Manche davon Gedichte. Und ja, der Roman zieht hinein, nicht sofort, sondern je mehr man sich in ihm vortastet, je mehr dieses „ich/er“ an Deutlichkeit gewinnt.

Nach Beendigung des Romans habe ich das Buch nicht weggelegt, sondern noch einmal durchgeblättert und einzelne Kapitel, die mir besonders  gefallen haben, erneut gelesen.

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