Es gibt zwei gegensätzliche Arten, den Ersten Weltkrieg literarisch zu bewältigen. Auf der einen Seite steht Ernst Jünger, der in der frühen Erzählung Sturm (1923) vom Schützengrabenkrieg erzählt und wie die Kameraden bei scharf gewürzten Würsten, Frauenbekanntschaften und Schnäpsen ein ganz besonderes „Gefühl“ überkommt:
„Die Herzen sprangen gegen die Rippen wie rote Raubtiere gegen Käfiggitter und stießen immer heißere Blutwellen durch die Gehirne (…). So entzündeten sich die verborgenen Kräfte des Blutes zur Wiedergeburt von Zuständen, die schon sehr fern im Dämmer lagen. Das Ungeteilte, der Ursprung, wurde lebendig und schrie nach Entladung, nach einfacher und wilder Tat.“
Auf der anderen Seite steht Erich-Maria Remarques Roman Der Weg zurück (1931), dem Fortsetzungsroman des Welterfolgs Im Westen nichts Neues (1929), der von der schwierigen Integration der Frontsoldaten in den Friedensalltag handelt:
Ludwig, der Kriegskamerad des Erzählers, „verschloß die Tür, setzte sich in den Sessel und schnitt sich die Adern im Wasser auf. Der Schmerz war gering. Er sah das Blut fließen, ein Bild, an das er oft gedacht hatte: dieses verhaßte, vergiftete Blut ausströmen zu lassen aus dem Körper.“
Während bei Jünger das Blut Symbol für wilden Tatendrang und ein „gesteigertes Leben“ ist, ist es bei Remarque ein durch die Kriegserfahrung eingeflößtes Zellgift, das den Menschen von innen zerfrisst und in den Suizid treibt.
Die beiden Autoren unterscheiden sich nicht nur in ihrer Haltung zum Krieg, nicht einfach im Inhalt, sondern auch in der literarischen Form, ja, schon im Gebrauch der Satzzeichen.
In Jüngers Sturm werden im Unterstand Gespräche über Kunst und Literatur geführt, dabei leitet der häufig verwendete Doppelpunkt eine Erklärung oder Schlussfolgerung ein:
„Diesem Leben unter den Mündungen der Kanonen entstrahlte ein starker, betäubender Duft (…), ein Gefühl (wurde) wach, das jede Kultur vor ihrem Untergange mit dem Schimmer eines letzten und höchsten Luxus umhüllt: das Gefühl einer glänzenden Zwecklosigkeit (…).“
Hier wird Kriegserfahrung in geschliffenem Stil (scheinbar) bewältigt und mit Sprachgewalt zu hierarchischen Satzperioden gehämmert.
Typisch für Remarques Roman sind dagegen Alltagssprache, Satzreihungen, Fragmente und eben der Gedankenstrich. Der Erzähler will in der Friedenszeit durch die Natur spazieren:
„Ich bin hierhergegangen, um die Landschaft meiner Jugend wiederzufinden – und jetzt ziehe ich Schützengräben hindurch –. Es ist die Gewohnheit, denke ich, wir können keine Landschaft mehr sehen, nur Gelände – Gelände zum Angreifen und Verteidigen – die alte Mühle auf der Höhe ist keine Mühle – sie ist ein Stützpunkt – der Wald ist kein Wald – er ist Artilleriedeckung – immer spukt das wieder hinein – “
Der Absatz endet wirklich ohne Punkt und Komma, die Satz- und Gedankenfetzen fliegen dem Leser genauso um die Ohren, wie es dem Erzähler nicht gelingt, dem Fronterlebnis zu entrinnen. Und der Gedankenstrich hat verschiedene Bedeutungen; er steht für Aufzählung, Gedankenabbruch, Gegensatz, Stottern, Leerstelle, kurz: die Gedanken kommen und gehen wie Angriffswellen unter MG-Feuer. So erhalten die bereits in der Vorkriegszeit entwickelten Erzählformen wie erlebte Rede und innerer Monolog ihre Feuerprobe.
Außerdem ist die Sprache des Erzählers vom Soldatenjargon geprägt. Es kommen zum Beispiel folgende Wörter vor: abschrammen, anschmieren, geschweinigelt, Lulatsch, piekfein, poussieren, Puff, Rakete, Trommelfeuer, Unterbewusstsein, sich wegscheren etc. Dies sind Wörter, die über beide Weltkriege und Faschismus in unseren heutigen Wortschatz eingegangen sind.
Folgerichtig, dass sich die Erzähler auch in ihren Weltanschauungen unterscheiden. Jüngers Held ist ein Schriftsteller mit bildungsbürgerlichem Hintergrund, der seinen Traumata mithilfe modischer Philosophien eine sinnlich-genießerische Form geben kann.
Remarques dagegen erzählt aus der Sicht des kriegsfreiwilligen Pennälers, der ohne schönfärberische Philosophie in seinen Horrorbildern gefangen bleibt.
Schluss: Jünger und Remarque sind typische Vertreter zweier gegensätzlicher Strömungen in der modernen Literatur, die sich in der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges herausgebildet haben. Beide stellen in beeindruckender Weise Schrecken und Barbarei des Krieges dar – allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Jünger bejaht die Erfahrung der Barbarei und wünscht sie sich immer wieder herbei, während Remarque sie verabscheut und sein Leben lang bekämpft.
Ihr Jürgen Block