Aus der Tonne gezogen 5

Zunächst zögerte ich, das Buch aus der Tonne zu holen. Der blaue Leineneinband war beschmutzt und fleckig. Aber das eingeprägte Titelbild zog mich an und so nahm ich es doch. »Raubfischer in Hellas« – das klang verlockend. Von »Werner Helwig«, dem Autor, hatte ich noch nie gehört. Die erste Recherche brachte einen 1902 geborenen Juristen hervor, der unter den Nationalsozialisten unrühmlich Karriere gemacht hatte. Ein Buch über griechische Raubfischer hatte der aber nicht geschrieben und außerdem ein »l« zu viel im Namen. Richtig geschrieben zeigte mir Tante Wiki einen Autor, der ein vielseitiges Werk hinterlassen hatte.

1905 in Friedenau bei Berlin geboren, mit 18 verhaftet, weil er an einer verbotenen kommunistischen Demonstration teilgenommen hatte, Engagement bei der Wandervogelbewegung, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten meist im europäischen Ausland unterwegs und bei Beginn des Krieges Emigration in die Schweiz, wo er James Joyce traf und eine Frau fürs Leben fand: die Schweizerin Yvonne Germaine Diem. Er heiratete 1941 musste aber ein Jahr später die Schweiz verlassen, weil er gegen das seit Kriegsbeginn geltende Publikationsverbot für Ausländer verstoßen hatte. Helwig fand ein Exil in Liechtenstein, wo er bis 1950 mit seiner Familie in ärmlichen Verhältnissen lebte. Dann durfte er in die Schweiz zurück und zog nach Genf. Nun schrieb er die meisten seiner Bücher, korrespondierte mit zahlreichen Künstlern (u.a. Hanns Henny Jahn, Hermann Hesse, Ernst Jünger, Monika Mann, Ernst Kreuder) und engagierte sich im PEN. 1978 starb seine Frau. Drei Jahre später heiratete der 76jährige ein zweites Mal. Er starb 1985 in Thônex bei Genf. Begraben wurde er in der Heimat seiner zweiten Frau: im Sauerland.

»Raubfischer in Hellas«, 1939 erstmals erschienen, ist sein bekanntestes Buch. Es wurde immer wieder aufgelegt und ist auch aktuell als Fischer-Taschenbuch (und E-Book) zu haben. Das Buch beginnt mit einer Beschreibung der illegalen Dynamitfischerei in der Ägäis aus Sicht der Fischer. In einem heroischen Ton wird beschrieben, was sie machen, doch gleichzeitig dringt aus diesen Aussagen sowohl die Unsinnigkeit dieses Handelns heraus wie auch die Verzweiflung der Menschen, die auf keinen grünen Zweig kommen und Leib und Leben dabei riskieren. Ein zivilisationsmüder Deutscher versucht, unter Fischern zu leben, gerät in die Hände eines Dynamitfischers und versucht vergeblich diesen zu bekehren. Doch das Buch ist nicht nur ein spannendes Abenteuerbuch. Autobiografisch geprägt wie viele seiner Bücher überraschte es mich mit einer starken, rhythmischen und bildhaften Sprache.

»Der Abend wölbte sich indessen.«

Dieser kurze Satz zaubert mir sofort den beginnenden Abend an der griechischen Küste vor Augen. Vor solchen Bildern entwickelt sich die spannende Geschichte.

Es folgten mit »Im Dickicht des Pelion« (1941) und «Reise ohne Heimkehr« (1953) zwei weitere Bücher, die zusammen als »Hellas-Trilogie« des Autors gelten. Alle  sind inzwischen im Fischer Verlag wieder erhältlich, wie auf der Werner Helwig Homepage berichtet wird. Auch sein Alterswerk »Totenklage«, in dem er über den Tod seiner ersten Frau schreibt und das von der Kritik sehr gelobt wurde, ist noch erhältlich, obwohl es bereits 1984 im Insel-Verlag erschienen ist.

Wenig später fand ich dann in der Tonne noch Helwigs »Isländisches Kajütenbuch«, das zunächst unter dem Pseudonym Einar Halvid (1950) erschien, was dem Publikationsverbot in der Schweiz geschuldet war. Der Erzähler reist mit seinem Freund Brygg nach Island. In die abenteuerliche Fahrt sind aberwitzige Erzählungen der beiden Freunde eingeflochten. Ein merkwürdiges, ein spannendes, ein skuriles Buch. Und auch in diesem, teils schnoddrig erzählten Roman sind wieder Sprachbesonderheiten dabei. Helwigs Bücher liest man nicht (nur), man genießt sie. Diese beiden sind sicherlich nicht die letzten Bücher, die ich von diesem Autor zur Hand genommen habe. Und wenn ich keine mehr in der Tonne finde, dann besorge ich mir neue in einer Buchhandlung. Soll ja auch funktionieren.

Ihr Horst-Dieter Radke

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Ein Gedanke zu „Aus der Tonne gezogen 5“

  1. Fundstück dazu im Netz: Türkische Müllmänner haben aus weggeworfenen Büchern eine ganze Bibliothek gemacht! http://www.spiegel.de/karriere/ankara-muellmaenner-gruenden-bibliothek-mit-weggeworfenen-buechern-a-1189211.html
    Eine Idee, die Schule machen könnte/sollte.
    Bücher wegwerfen gehört für mich zu den Dingen, die ich nicht übers Herz bringe. Es gibt so viele andere Möglichkeiten der Zweitverwertung: Oxfam, lokale soziale Einrichtungen, Tauschringe im Internet, Bookcrossing, Horst-Dieter 😉 Verkaufen lassen sie sich auch bisweilen via Internet. Kleine Bibliotheken hingegen zeigen sich oft überfordert mit Büchergeschenken. Was schade ist, aber als Insiderin kann ich’s verstehen.
    Ich freue mich auf die nächsten Fundstücke der Reihe „Aus der Tonne gezogen“!

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