Autorenfriedhof

ein Gastbeitrag von Ulrike Maier

Ich blinzle in das helle Licht am Ende des Tunnels. Sieht so der Tod aus? Oder die Wiederauferstehung? Der Sekundenschlaf in Straßenbahnen schleudert schlimmste Urängste in mein Bewusstsein, jetzt aber liegt der Tunnel hinter mir, ist ein Bahnhof in Sicht. Kafkaeske Bilder fluoreszieren noch in meinem Kopf.

Türme von Büchern stürzen auf mich ein, blasse Autorinnen auf Sofas lesen dünnstimmig gegen eine gigantische Bienenschwarmakustik an. Trägt mich eine Menge vorbei an kurvigen Frauen hinter rosaroten Luftballons, schreiben sie mit prächtigen Hüften, ihre Legitimation und ihr Alleinstellungsmerkmal. Übergangslos sphärische Klänge untermalen silberne Lettern auf schwarzer Wand, erzählen von Wissenschaft, Esoterik, Fitness, Geschichte und Kochen, ein Verlag für alle und alles, im Wundermärchenland des Gedankenkrebses. Schwappen zeitgleich Baselitz, Picasso und die flämischen Meister ins Auge und Dr. Froböse isst literarisch gegen die Arthrose an. Mein Traum bleibt hängen in der Ernährungssektenschleife von ‚Fleischlos für Fortgeschrittene‘, ‚Barbecue für Anfänger‘, ‚Emotional Eating‘ und dann doch, der alles überschattende Titel und die Endlösung: „Gift hat keine Kalorien!“

Ein aufstrebender Jungautor reicht sein Werk, die Worte geformt aus seinem Blut, über die Köpfe der anderen hinweg; erklärt er den Ständen seine Bedeutsamkeit. Jedoch die Menschen hinter ihm und die Menschen vor ihm und die Menschen neben ihm treiben ihn traumsphärisch hinweg, vorbei an farbigen Schriftsteller-Illusionen, treiben ihn zu Mord und Totschlag. Auf Sylt, im Odenwald, allemal in Frankfurt, überall wird gemordet, werden vor allem Jungautoren gefoltert und hingerichtet. Auf jedem Titelbild düstere Farben, engen das Sichtfeld ein, nehmen die Luft, bevor plötzlich die Drachen aus den Covern springen und rufen; „Seht, der Winter der Künstlichen Intelligenz naht!“

Steht ein einst hoffnungsvoller Lyriker vor der endlosen weißen Wand des Scheiterns, ohne Einlass, ohne Eingang, wird sich der Schreibende seiner Nichtigkeit bewusst, sind wir angelangt am Schuttabladeplatz der Bücher, ertrunken im Meer der Publikationen. Wortgewaltige treiben leblos an die Strände der Verlage und Agenturen. Ich lache auf. Was für ein absurder Traum!

Im eisigen Wind des Bahnhofs krame ich in meiner Jackentasche nach einem Stück Schokolade, Kalorien gegen künstliche Nachtmahrtode, finde aber nur bedrucktes Papier. Ein Presseticket. Die Wirklichkeit trifft mich mit harter Faust. Der Albtraum hat einen Namen: Frankfurter Buchmesse.

Ihre Ulrike Maier

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