„Der Blog ist mein virtuelles Kaffeehaus geworden“

Ingrid Haag im Gespräch mit Uwe Kalkowski
https://kaffeehaussitzer.de/

Seit Uwe Kalkowski denken kann, fasziniert ihn Geschriebenes. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren in der Buchbranche, erst als Buchhändler, heute als Marketingverantwortlicher eines Fachverlags. „Kaffeehaussitzer“ ist sein privater Blog über Literatur, seine Lieblingsbücher und Leseerlebnisse – in Kaffeehäusern und Cafés.

Lieber Uwe, bei dem Bild auf deiner Homepage erübrigt sich die Frage fast. Sag’s trotzdem noch mal: Wie kamst du auf die Idee, dich „Kaffeehaussitzer“ zu nennen?

Kaffeehäuser und Bücher gehören untrennbar zusammen. Mit einem Buch lesend im Café zu sitzen, ist für mich nicht nur eine perfekte Kombination zweier Tätigkeiten, sondern eine Lebensphilosophie. Früher, als ich jünger war und deutlich mehr Zeit hatte, war das eine meiner Hauptbeschäftigungen und ich weiß nicht, wie viele Bücher ich auf diese Weise gelesen habe, es dürften einige sein. Leider lässt mir heute der Alltag deutlich weniger Raum, dieser Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, aber so lag der Name Kaffeehaussitzer nahe und der Blog ist mein virtuelles Kaffeehaus geworden. Eines, das jederzeit zum Besuch und zum Austausch einlädt.

Wie bist du denn überhaupt zum Bloggen gekommen?

Das geschah völlig ungeplant, eigentlich bin ich da mehr oder weniger hineingestolpert. Das Reden und Diskutieren über Bücher war mir schon immer wichtig, geradezu ein Bedürfnis. Auf Facebook fing ich an, mit ein paar Sätzen die Bücher vorzustellen, die ich gerade gelesen hatte. Als ich merkte, wie viel Spaß mir das macht, wollte ich das ausbauen; die Domain „Kaffeehaussitzer“ hatte ich mir schon Jahre zuvor aus einer Laune heraus gesichert und so kam eines zum anderen. Im Juni 2013 ging dann der erste Beitrag online, das Wort „Literaturblog“ hatte ich bis dahin kaum gehört, und ich hätte mir damals nicht vorstellen können, was aus diesem Start in die mir neue Welt der Buchblogs alles entstehen sollte. Wie viele Menschen – im realen wie im virtuellen Leben – ich kennenlernen durfte, wie viele spannenden Projekte und Aktionen sich daraus ergeben würden. Und wie sehr dieser Blog Teil meines Lebens geworden ist.

Du stellst Bücher und Texte vor, die dir etwas bedeuten. Was muss ein Buch oder Text denn haben, damit es dich begeistert, inspiriert, bewegt, fasziniert oder nachdenken lässt?

Dafür habe ich keine allgemeingültige Formel parat. Ich glaube aber, dass es für jedes Buch in meinem Regal genau die richtige Zeit gibt, in der es gelesen werden will. Daher ist der Moment, in dem ich mit der Frage „Was lese ich als Nächstes?“ an den Bücherregalen und -stapeln entlangstreiche, immer wie eine Entdeckungsreise. Es ist natürlich immer die Sprache, die mich entweder sofort in den Bann zieht – oder mich kalt lässt. Manchmal aber merke ich, dass mich das Buch zwar prinzipiell interessiert, aber dass es nicht zur momentanen Stimmung passt. Dann kommt es wieder zurück ins Regal und wir warten beide auf die nächste Gelegenheit. Ich mag verschachtelte Geschichten mit verschiedenen Zeitebenen, mir gefallen ambivalente Charaktere, und ein Happy End halte ich für vollkommen überschätzt. Ein Buch, das mir etwas bedeutet, muss mich eintauchen lassen in fremde Lebensentwürfe, Gedanken oder Befindlichkeiten, es muss mir Facetten dieser Welt zeigen, die ich so noch nicht kannte. Es muss mich in die Geschichte hineinziehen, und wenn die letzte Seite umgeblättert ist, dann muss es mich widerstrebend als jemand gehen lassen, der – zumindest ein kleines bisschen – nicht mehr ganz genau die Person ist, die er vor der Lektüre war. Viele Bücher hinterlassen Spuren und bleiben im Gedächtnis. Aber manche beschäftigen mich noch jahrelang und lassen mich nicht mehr los, nie mehr. Wie etwa „Die Straße“ von Cormac McCarthy, für mich eine der intensivsten Lektüren meines Lebens.

Wie oft bloggst du? Was sind deine Schwerpunktthemen oder Vorlieben?

Ich versuche, einen Beitrag pro Woche zu schreiben. Das klappt nicht immer, manchmal sind es weniger, manchmal – selten – aber auch mehr. Im Schnitt etwa drei bis fünf Beiträge im Monat. Bei der Auswahl der Bücher orientiere ich mich nicht an den Neuheiten der Verlage, eher im Gegenteil. An dem Rennen, immer so schnell wie möglich die aktuellen Romane zu besprechen, beteilige ich mich nicht. Das würde ich zum einen gar nicht schaffen und zum anderen finde ich es sehr langweilig, wenn überall die gleichen neuen Titel besprochen werden. Als Blogger hat man ja alle Freiheiten der Welt und kann machen, was man möchte. Denn so manches Buch steht jahrelang im Regal, bevor ich es lese. Wenn es mir dann gefallen hat, stelle ich es im Blog vor – auch wenn es vielleicht schon gar nicht mehr lieferbar sein sollte. Einfach nur, weil ich es mochte. Dabei gibt es kein eigentliches Schwerpunkthema, es kann ein Familienroman sein, eine Erzählung, ein Epos, ein Klassiker, ein Krimi – vor allem ist mir ein sprachlicher Anspruch wichtig. Das muss nicht immer ein hochliterarisches Werk sein, aber seichter Lektüre, die meine Lesezeit verschwenden würde, gehe ich aus dem Weg.

Was war deine schönste Erfahrung mit dem Bloggen? Und was die doofste?

Ich bin immer wieder begeistert, wie viele Kontakte, Bekanntschaften und Freundschaften durch das Bloggen entstanden sind – im realen wie im virtuellen Leben. Überhaupt ist diese Verknüpfung, die enge Verzahnung der scheinbaren Gegensätze virtuell und real zu einer prägenden Erfahrung geworden, für die ich dankbar bin. Und um den zweiten Teil der Frage gleich mit zu beantworten: Gelernt habe ich, dass man auch im Netz nicht mit jedem Menschen klarkommen muss, auch wenn man die Begeisterung für Literatur teilt. Das ist jetzt aber nicht unbedingt die „doofste Erfahrung“, sondern ganz normal. Letztendlich ist das Internet groß genug für alle.

Wie hat das Bloggen deine Einstellung zu Büchern und zum Lesen verändert? Hat’s überhaupt?

Früher hatte ich immer mal wieder regelrechte Leseflauten, in denen ich manchmal wochen-, wenn nicht sogar monatelang kaum ein Buch gelesen habe. Das kenne ich überhaupt nicht mehr, denn durch das Bloggen und durch die intensive Vernetzung mit anderen Literaturbegeisterten bin ich ständig von Buchtipps umgeben. Und lese tatsächlich viel mehr als jemals zuvor; die Buchstapel auf dem Boden vor den überquellenden Regalen nehmen langsam gefährliche Höhen an. Wie das möglich ist, da ja das Bloggen selbst ordentlich Zeit in Anspruch nimmt, habe ich bisher nicht herausfinden können. Aber es fühlt sich gut an.

Schreibst du selbst auch kreativ oder gilt deine ganze Faszination dem Lesen?

Tatsächlich spukt mir immer mal wieder die ein oder andere Plot-Idee durch den Kopf, für eine hatte ich sogar schon mit ersten Recherchen begonnen. Aber bisher ist da nichts weiter daraus entstanden, dazu fehlt mir schlicht und ergreifend die Zeit und die Muße. Doch wer weiß?

Welchen Buchtitel würdest du unseren Lesern ganz besonders ans Herz legen?

Die Frage habe ich schon befürchtet, und sie ist jedes Mal eigentlich kaum zu beantworten. Sagen wir: Zwei. Zwei müssen es schon sein; beides sind großartige Romane und beide blieben leider und für mich unerklärlicherweise etwas unter dem Radar.  Es ist zum einen „White Tears“ von Hari Kunzru, eine spannende Mischung aus Roadmovie, Blues-Geschichte, Gesellschaftsstudie und Schauermärchen. Ein unglaublich gutes Buch! Das andere ist der Roman „Wir leben hier, seit wir geboren sind“ von Andreas Moster. Es ist die Geschichte eines sterbenden Dorfes hoch oben in den Bergen. Die archaischen Strukturen der eingeschworenen Dorfgemeinschaft geraten durch das Auftauchen eines Fremden ins Wanken und brechen krachend zusammen. Eine eindrucksvolle Sprache und ein intensives Leseerlebnis.

Und zum Schluss, weil’s wahrscheinlich alle Autorinnen und Autoren drückt: Welchen ultimativen Marketingtipp hast du denn für uns?

Wenn ich den hätte, dann wäre ich längst steinreich mit meiner eigenen Agentur …

Aber ernsthaft: In Zeiten des medialen Überangebots ist Sichtbarkeit schwer wie noch nie – und so wichtig wie noch nie. Ein Blog etwa würde ohne soziale Medien nicht funktionieren, da ihn niemand fände. Das gleiche gilt für das Selbstmarketing von Autoren. Es ist eine Arbeit über viele Jahre. Präsent sein, sich an Diskussionen beteiligen, Nachdenkliches oder Witziges posten – und so sich nach und nach einen Namen im Netz machen, ohne ständig mit Werbepostings auf das eigene Buch hinzuweisen. Ich persönlich finde dafür Twitter das Medium der Wahl, nirgends ist das Vernetzen so einfach. Aber auch auf Instagram tut sich enorm viel und die Buchmenschen dort werden immer mehr. Doch wie auch immer, man braucht dafür Zeit, Geduld und einen langen Atem.

Vielen Dank für das Interview, Uwe, und weiterhin viel Spaß und Erfolg beim Bloggen. Wir sehen uns online!

Foto: © Vera Prinz

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