Der müffelnde Nobert, mein Neffe und das Rätsel der Eichhörnchen

Vor ein paar Wochen holte ich freitags den Sechsjährigen meines Vertrauens aus dem Hort ab und bekam voll Stolz ein kleines Plüscheichhörnchen entgegengestreckt.

Es war ziemlich hässlich, was daran lag, dass es debil schielte und sich außerdem irgendetwas Nahrhaftes darüber verteilt hatte. Und während ich noch rätselte, ob es sich bei den Flecken um den mir aus eigener Horterfahrung so vertrauten klebrigen Griesbrei handelte oder ob sich gar jemand in den struppigen Pelz geschnäuzt hatte, belehrte mich mein Sechsjähriger, das sei der Nobert.

Der Nobert war nun keineswegs irgendein gewöhnliches Eichhörnchen, sondern wurde jeweils für ein Wochenende dem schlausten Kind des Horts überreicht.

Obwohl ich persönlich es für ein Zeichen von Intelligenz gehalten hätte, diese ranzige Virenschleuder gar nicht erst besitzen zu wollen, war mein Neffe wild entschlossen, den plüschigen Wanderpokal nie mehr zurückzugeben. Dies sei ganz einfach, wurde mir erklärt, man müsse nur die meisten Punkte bei der wöchentlichen Preisfrage holen – wobei der Sechsjährige meines Vertrauens sich in besagter Woche klar allen anderen überlegen gezeigt hatte. Sagenhafte zweiundzwanzig verschiedene Sorten Gemüse hatte er aufzuzählen vermocht. Er schlug vor, es mir zu demonstrieren, jedoch fühlte ich mich schon nach „Blumenkohl, Rosenkohl, Grünkohl, Rotkohl, Weißkohl, Chinakohl, Spitzkohl …“ ganz aufgebläht und beschränkte mich darauf, wortreich seine umfassenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Botanik zu bewundern. Zum Dank für meine Begeisterung durfte ich den süßlich müffelnden Pokal dann mal halten.

Auch die kommenden Male musste ich den ekelhaften Nobert wieder mit heimschleppen, weder die Frage nach Aufzählung von Frühlingsblumen noch die Nadelbäume vermochten die Schreckensherrschaft meines kleinen Strebers zu brechen.

Ich schämte mich.

Ich stellte mir vor, wie sehnsüchtig auch andere Sechsjährige sich danach verzehrten, die widerliche Bazillenschleuder einmal mit nach Hause zu nehmen, während mein Neffe irr grinsend immer eine noch abstrusere Tannenart aufzählte.

Aber letzte Woche war es dann so weit. Anstelle dieses selbstgefälligen Tyranns der Allgemeinbildung empfing mich ein ziemlich aufgelöster Sechsjähriger: Ausgerechnet die Frage nach den Eichhörnchen war sein Waterloo geworden. Felsenfest war er davon überzeugt gewesen, Eichhörnchen hielten Winterschlaf, was sie aber wohl nicht taten. Und so, gleich einem vergessenen Kriegsheld längst vergangener Schlachten, blieb meinem Kleinen nichts als verblassender Ruhm und die sinnlos gemurmelte Frage: „Wie überwintern die denn bloß dann?“

Ich wusste es, um ehrlich zu sein, auch nicht, aber damit unseren Lesern derartige überwinterungstechnische Schreckenserfahrungen erspart bleiben, widmen wir uns an den nächsten Sonntagen der Frage der Überwinterung. Natürlich speziell zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Autoren. Seien Sie gespannt!

Viel Spaß beim Lesen wünschen

Joan Weng & das gesamte Blogteam

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