Überwintern für Autoren – Notizen aus Afrika

Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wieso der November einen so schlechten Ruf hat. Ich persönlich finde nämlich, dass der Winter so ab Mitte Januar am schlimmsten wird und brauche langfristige Strategien, um ihn zu überleben.

November finde ich eigentlich noch erträglich: Ich zehre noch von goldenen Oktobertagen und denke jedes Jahr, so schlimm wird der Winter schon nicht werden. Ich sage mir: Na gut, es wird kalt, es wird grau, aber es geht vorbei. So halte ich den November und den Dezember durch, in dem ich ja auch immer noch gut damit beschäftigt bin, Weihnachten doof zu finden. Aber nach Weihnachten und Silvester wird es jedes Jahr unerträglich. Denn es ist immer noch kalt und es ist immer noch grau. Mein Kopf weiß, dass es vorbei geht; aber meine Psyche und mein Körper glauben es nicht mehr. Ich bin immerzu müde und ich will keine grauen Tage mehr. Ich will überhaupt nichts mehr, außer dass der Winter endlich ein Ende hat. Ich erinnere mich an eine Schlagzeile einer großen Berliner Tageszeitung, die in einem Winter mal sinngemäß lautete: Seit zwei Wochen kein Sonnenstrahl über Berlin. Solche Schlagzeilen könnte man im Berliner Winter ständig verfassen. Da, wo im Sommer der Himmel ist, kann man im Winter an einigen Tagen nicht einmal die niedrig hängenden Wolken sehen, weil sie von Nebel verhüllt sind. Im Januar und Februar wird übrigens in meinem Umfeld auch am häufigsten gestorben – ich verstehe das vollkommen. Ende Januar ist einfach jeder Glaube daran, dass es je wieder hell wird, abhanden gekommen. Da kann man sich dann auch den Krankheiten überlassen, gegen die man im Sommer noch gut ankam, ob sie nun Krebs oder Depression heißen. Okay, das wird jetzt ein wenig morbid und ich hör schon auf.

Meine diesjährige Überlebensstrategie heißt: Afrika. Schon in früheren Jahren habe ich davon geträumt, den Winter in der Sonne zu überstehen, aber lange Zeit war mir das aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Vor zwei Jahren war es zum ersten Mal soweit: Ich flog nach Afrika und begann mit „Notizen aus Afrika“. Ich schrieb darüber, wie wir zu sechst mit einem Kleinbus quer durch Senegambia fuhren. Während zu Hause gefroren und gestorben wurde, holperten wir über die Sandpisten der Rallye Dakar, übernachteten in der Nähe des Lac Rose, wo Fahrer und Teams Quartier nahmen, als die Rallye noch am Ort ihrer Namensgebung stattfand. Ich versuchte, fremde Geräusche und Gerüche aufzusaugen und zu notieren. Ich redete mit unserem Reiseleiter Ibrahim über seine Zeit in Deutschland und darüber, wie es ihm erging, als er zurück in sein Heimatdorf in Gambia kam. Eine Nacht lang lag ich wach, weil von der nahen Moschee die ganze Nacht Gesänge herüberschallten: Wegen Mohammeds Geburtstag. Nie werde ich vergessen, wie ich in einer kleinen Markthütte irgendwo im Senegal stand und fasziniert auf fünf Holzkisten starrte, die voll mit verkabelten Handys waren. Dort lassen die Leute nämlich einmal in der Woche ihre Handys aufladen, weil sie zu Hause keinen Strom haben. Das war die ganz reale Seite dessen, was ich natürlich wusste: dass längst nicht alle afrikanischen Dörfer Strom haben.

Den letzten Winter musste ich leider ohne Afrika überstehen, was mir irgendwie gelungen ist, aber in diesem Jahr geht es wieder weit in den Süden. Südafrika, um genau zu sein. Meine „Notizen aus Afrika“ bekommen ein neues Kapitel. Es sind gute Fingerübungen: genau hinsehen, exakt beschreiben. Diesmal werde ich als Freiwillige in einem Sozialprojekt tätig sein. Nein, ich habe kein Helfersyndrom. Ich möchte einfach nur ein wenig mehr darüber erfahren, wie Menschen dort leben. Ich erwarte einige Aha-Erlebnisse wie jenes in der Markthütte. Wenn ich reise, fühle ich mich am lebendigsten, weil alle meine Sinne mehr gefordert sind als zu Hause, wo alles bekannt ist oder zumindest scheint. Weit weg von meiner gewohnten Umgebung bin ich gezwungen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Dass ich damit ganz nebenbei den Berliner Winter vergesse, wird beinahe zur Nebensache. Von meinen Erlebnissen und dem unter afrikanischer Sonne getankten Vitamin D kann ich zehren, wenn ich im März in meinen Berliner Alltag zurückkehre. In dem dann hoffentlich auch schon der Frühling begonnen hat.

Wahrscheinlich werde ich mir im nächsten Jahr keine Reise nach Afrika leisten können. Aber dann hole ich meine „Notizen aus Afrika“ hervor. Die helfen mir dann hoffentlich über den nächsten Winter hinweg, vor allem im Februar.

Sonnige Grüße,

Ihre Dorrit Bartel

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