Dorrit liest: Kerstin Decker – Meine Farm in Afrika

Es liegt sicher in der Natur der Sache, dass ein Buch über Frieda von Bülow (1857-1909) mit einer Szene über Carl Peters beginnt, die große Liebe ihres Lebens. Und doch ließ mich dieser Umstand zunächst ein wenig mit Kerstin Deckers Buch hadern; ich hätte lieber sofort etwas über Frieda erfahren. Es war auch nicht hilfreich, dass es dann noch etwa 150 Seiten dauerte, ehe sie endlich nach Afrika fährt. Doch am Ende war ich mit alledem versöhnt und bin froh, Frieda und dieses Buch entdeckt zu haben.

Zunächst einmal jedoch begleitet der Leser Carl Peters, der für das Deutsche Reich in Ostafrika Kolonien erobert und – das ist heute hinlänglich bekannt – sich dabei bespielloser Gewalt bediente. Frieda hingegen führt das halbwegs durchschnittliche Leben einer unverheirateten Adligen im Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Trotz der leichten Irritation über dieses – durchaus einleuchtende – Ungleichgewicht trugen mich Kerstin Deckers Schilderungen über beide Leben (Frieda: Startet in Berlin ihre Karriere als Schriftstellerin, Carl: Erobert mit List und Tücke und Gewalt halb Ostafrika) leicht bis zu Friedas Ankunft in Sansibar, und von da an habe ich das Buch mit größtem Vergnügen gelesen. Was sicher auch mit den Schilderungen der unterschiedlichen Deutschen zusammenhängt, die die Autorin den Schriften Friedas entnahm. Denn Frieda schrieb viel über ihre afrikanischen Erlebnisse: Artikel für Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Romane, sogenannte Kolonialromane mit Titeln wie „Tropenkoller“ oder „Im Land der Verheißung“. Mit den von ihr beschriebenen Figuren wird die deutsche Gemeinschaft jener Zeit lebendig. Kerstin Decker gelingt es hervorragend, Friedas Schilderungen mit heutigen Erkenntnissen anzureichern, doch immer so, dass diese sich quasi organisch in Friedas Leben einordnen und heute noch gültig sind. Bei ihrem ersten Aufenthalt 1887 in Sansibar zum Beispiel lebt Frieda im Deutschen Haus mit einer Gesellschaft weiterer Deutscher. Eine Art Kommunismus sei das, doch das ist die Crux des Kommunismus: dass er so viele ausschließt, sagt Decker dazu. Was hier meint, dass Frieda gern etwas mehr Privatsphäre gehabt hätte, dann aber aus der Gemeinschaft ausgeschlossen worden wäre. Oder an anderer Stelle: Man bekommt in Afrika einen Sinn für das Unverfügbare.

Eigentlich ist Frieda als Abgesandte des Deutschnationalen Frauenbundes für Krankenpflege in den Kolonien nach Sansibar gereist, den sie selbst mit einigen Frauen der Berliner Gesellschaft gegründet hat. Doch der Frauenbund und Frieda bleiben eine kurze Episode, Frieda widersetzt sich den Anweisungen aus Berlin. Woher wollen die Frauen in Berlin wissen, was in Afrika gut und wichtig ist? Während Frieda also in Afrika lernt, mit der Fremdheit umzugehen und glücklich ist – nicht nur, aber durchaus auch, weil Carl Peters in ihrer Nähe ist – wird sie vom Frauenbund entmachtet und muss zurück nach Berlin, um Missverständnisse auszuräumen. Glaubt sie. Doch es sind keine Missverständnisse, der Frauenbund ist aufgelöst, die Frauen, denen Frieda zu eigensinnig war, haben kurzerhand einen neuen Bund gegründet. Ohne sie.

Es wird fünf Jahre dauern, ehe sie wieder nach Afrika reist, diesmal ganz allein – von ihrem durchschnittlichen Leben hat sie sich längst verabschiedet. Sie fährt diesmal, um die Farm ihres verstorbenen Bruders auf der Insel Jambe fortzuführen. Doch es ergeht ihr wie Tania Blixen, als deren deutsches Pendant sie manchmal bezeichnet wird: Sie kann die Farm nicht halten. Um profitabel arbeiten zu können, braucht es Kapital, das sie nicht hat. Sie fährt zurück ins Reich, um Investoren zu finden, doch noch einmal findet sie den Weg nach Afrika nicht. Kerstin Decker schreibt dazu: Zweimal Afrika. Zweimal seelischer Ausnahmezustand. Sie weiß, ein drittes Mal würde sie nicht überstehen.

Insgesamt war Frieda weniger als zwei Jahre in Afrika, doch diese Zeit hat sie geprägt. Sie erschreibt sich einen Namen als Autorin von Kolonialromanen, in denen sie ein vielschichtiges Bild Afrikas und der dort lebenden Europäer jener Zeit malt. Die kamen nicht nur mit der Absicht, Kolonien für ihr Reich zu erobern. Es gab den Ornithologen, den Farmer, den Neugierigen, den Missionar, die Krankenschwester; es gab Briten, Deutsche und Dänen. Und sie setzt in ihren Romanen Carl Peters ein Denkmal, der sie – entgegen ihren Hoffnungen – nicht heiratete, sondern ein knappes Jahr vor ihrem Tod eine andere Frau. Da ist Frieda schon von ihrer Krankheit gezeichnet und hat nicht mehr die Kraft für Ärger. Aber geschmerzt haben muss es sie noch einmal, selbst nach so langer Zeit.  

Ich war mir vor der Lektüre des Buches nicht sicher, ob ich Frieda mögen würde, diese Vorfahrin als Schriftstellerin und Afrikareisende, die einen so furchtbaren Mann liebte. Jetzt, nach der Lektüre, wünsche ich für sie, dass es anders ausgegangen wäre. Dass es sich glücklicher gefügt hätte. Dass sie mehr Zeit in Afrika gehabt hätte. Überhaupt mehr Zeit. Und vielleicht, dass sie einen anderen Mann geliebt hätte. Letzteres wünsche ich mit der leichten, mir sehr bewussten Selbstgefälligkeit der Spätgeborenen, die manche Dinge klarer sieht. Oder dies zumindest glaubt.

Ihre
Dorrit Bartel 

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