Ein kleines hellblaues Buch und eine Herrenhandtasche

Dieser Beitrag richtet sich an verheiratete Männer, möglicherweise erkennen sich darin jedoch auch deren Ehefrauen oder langjährige Paare wieder. Denn diese Konstellationen haben eines gemeinsam: Die männliche Hälfte verbringt, auf das Jahr hochgerechnet, mindestens drei Wochen mit dem Warten auf das weibliche Gegenstück. Sie wissen, was ich meine: Es ist Samstag und Sie freuen sich auf einen Abend zu zweit. Der Aufforderung „Wir können jetzt los“ folgen Sie augenblicklich und nehmen die guten Lederschuhe, das einzige gebügelte Hemd sowie ihre Ausgehjacke aus dem Schrank und ziehen alles an. Zeitaufwand: Viereinhalb Minuten. Eventuell mitlesenden frischverliebten jungen Männern möchte ich an dieser Stelle einen Rat geben, der Ihre Samstagabende und möglicherweise Ihre Ehe retten kann. Dass Sie jetzt noch eine halbe Stunde Zeit haben, wissen Sie bereits. Mein Rat: Finden Sie sich damit ab. Es ist nicht zu ändern. Verbieten Sie sich jeden weiteren Gedanken an ein Wie lange?, ein Warum? Und vor allem ein Warum ausgerechnet ich? Verkneifen Sie sich die bissigen Anspielungen auf das mangelhafte Zeitgefühl des schönen Geschlechts. Es ist vollkommen sinnlos, und das wissen Sie auch. Sehen Sie stattdessen das Positive: Sie haben jetzt Zeit für sich! Wenn Sie wie ich zu den Menschen gehören, die Literatur mögen: Seien Sie vorbereitet! Sie benötigen Folgendes: ein kleinformatiges Buch mit kurzen, guten Texten, wie zum Beispiel diese Ausgabe der Reportagen von Truman Capote, in einem hübschen Hellblau. Dieses Kleinod wurde eigens für uns Männer hergestellt. Es passt problemlos in jede Jackentasche; die abgerundeten Kanten erlauben ein reibungsloses Verstauen und das praktische Lesebändchen ermöglicht schnelles Wiederfinden der richtigen Seite. Denken Sie an die Zeit, die Sie vor der Damentoilette verbringen werden!

Wenn Sie jetzt auch noch – so wie ich – nicht ohne Notizbüchlein aus dem Haus gehen wollen, benötigen sie Utensil Nr. 2: eine Herrenhandtasche.

Handtasche

Ich weiß, dass ich damit ein Tabu breche, doch vertrauen Sie mir. Sie haben auf dieses Accessoire schon viel zu lange verzichtet. In Verbindung mit dem Notizbuch ermöglicht es Ihnen, sich gleichzeitig als Mitglied der Avantgarde und als Intellektueller zu outen. Nebenbei bemerkt: Wenn Sie sich genug in der Anerkennung gesonnt haben, können Sie eine sehr nützliche Übung machen, indem Sie sich umschauen und ihre Umgebung bewusst wahrnehmen. Das Gesehene fangen Sie dann sprachlich ein. Am Besten, Sie formulieren ganze Sätze und schreiben sie auf. Auf die üblichen Klischees und Allgemeinplätze sollten Sie dabei verzichten. Sie sitzen im Theater? Dann befinden Sie sich inmitten überschminkter, in Parfum gebadeter, älterer Damen, deren Dauerwelle bereits Teil der DNA ist und folglich: langweilig. Besser, Sie bringen ein paar aussagekräftige Details mit. In der Pause werden die Zuschauer zu Darstellern, der Rang zur Bühne. Und Ihre Begleitung ist höchstwahrscheinlich auf der Toilette. Also halten Sie Augen und Ohren offen. Ihnen fällt nichts ein? Macht nichts. Sie haben ja das kleine hellblaue Buch von Capote in Ihrer schmucken Herrenhandtasche dabei.

Ihr Christoph Junghölter

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Ein Gedanke zu „Ein kleines hellblaues Buch und eine Herrenhandtasche“

  1. Hellblau, okay, wenn es nicht anders geht. Lieber Christoph, wunderbar zusammengefasst.
    Mehre Jahrzehnte übe ich das Warten schon. Inzwischen habe ich wahrscheinlich den Doktortitelgrad erreicht.
    Vor der Damentoilette warte ich nie. Ist mir zu blöd. Hat meistens hat das den Nachteil, die Frau wiederzufinden. Nach ihrem Toilettengang geht sie gerne ihre eigene Wege. Wenn wir uns schließlich wiederfinden und ich sie frage, weshalb ich sie erst suchen muss, obwohl ich gesagt habe ich bin da oder da, kommt häufig die Antwort, Du hast mich doch gefunden, ist doch alles in Ordnung. Manchmal kann das eine schönen Spaziergang verändern.
    Ein Notizbuch habe ich immer dabei, nicht in einer Herrentasche, in einem Rucksack oder in einer roten Umhängetasche. Übrigens, was auch in der Kategorie, das Leben mit der Frau fällt,die Frage von ihr an mich: Hast Du mal ein Taschentuch. Ohne Papiertaschentücher gehe ich nicht aus dem Haus.

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