Ein Königreich für ein Büro!

Ich bin Schriftstellerin und ich bin privilegiert, denn ich habe ein eigenes Arbeitszimmer. Es ist klein, aber mein. Und es ist in unserem Haus. Es ist Durchgangszimmer zu einem der Badezimmer. Es hat eine Tür, die nicht abschließbar ist. Der Blick aus dem Fenster geht in Nachbars Garten.

Ich kenne einige Kollegen, die einen Schreibtisch haben. Im Schlafzimmer, in der Wohnzimmerecke, in der Diele, im Hauswirtschaftsraum. Sie habe eine Arbeitsecke, kein Arbeitszimmer, so wie ich. Und dann gibt es noch solche, die einen Laptop haben und ihn am Wohnzimmertisch, in der Küche, im Schlafzimmer, im Cafe, aufklappen und schreiben.

Als Schriftsteller kann man theoretisch überall schreiben, habe ich gehört. Ich kann das nicht. Ich brauche meinen Raum, meinen Schreibtisch.

Und – ich brauche meine RUHE!

Ich brauche Stille, um zu schreiben. Mir reichen die vielfältigen Stimmen im Kopf, die Charaktere, die sich da streiten, die Figuren, die Raum einnehmen in meinem Kopf. Musik geht manchmal. Nicht immer. Und dann nur bestimmte Musik. Der Epoche entsprechend und leise im Hintergrund. Was nicht geht, ist Nachbars Ghettoblaster.

Was auch gar nicht geht, sind Kinder. Davon habe ich vier. Meine Arbeitszimmertür ist meist geschlossen. Ich habe sogar aus dem Baummarkt einen automatischen Schließer besorgt und angebracht. Seitdem fällt die Tür mit lautem Krach zu. Immer wieder. Weil die Kinder kommen und mich etwas fragen.

„Mama?“

„Jetzt nicht. Muss arbeiten!“

„Aber Mama …“

„JETZT! NICHT!“

Krach. Bumm. Die Tür fällt wieder zu.

Oder:

„Mama?“

„Jetzt nicht. Muss arbeiten!“

„Aber Mama …“

„JETZT! NICHT!“

„Ich will nur wissen, wo …“

Darauf folgen wahlweise: meine Lieblingsjeans, das Lieblings- T-Shirt, die bestimmte DVD, Füllerpatronen, Äpfel, Geld, Süß, Schreibhefte … und Vieles mehr ist.

Was weiß ich, wo der Kram ist? Meist da, wo er zuletzt war. Neue Schulsachen wie Hefte, Patronen, Zirkel, weiß der Geier, kauf ich auf Vorrat und lagere es in einer großen Schublade im Wohnzimmer. Dort finde ich es, die Kinder nicht. Leider.

Ich hätte gerne ein Büro. Außerhalb des Hauses. Irgendwo nebenan oder so. Oder besser noch, einen Kilometer vom Haus entfernt. Wo ich schreiben kann. Wo ich arbeiten kann. Jenseits der Meute.

Aber so ein Arbeitszimmer zu Hause ist auch praktisch. Ich kann eben die Kartoffeln aufsetzen und noch zwei Seiten schreiben. Ich kann Wäsche waschen und sie schnell in den Garten hängen, wenn die Ladung fertig ist. Ich kann die Wäsche ganz schnell von der Leine nehmen, wenn es anfängt zu regnen (in diesem Sommer sehr wichtig.)

Familie ist eins. Nachbarn sind das andere. Das eine Haus in der Nachbarschaft wurde gerade verkauft. Vor zwei Monaten. Es ist ein großes Haus. Da wird eine große Familie einziehen. Seit zwei Monaten renovieren und sanieren sie. In ihrer Freizeit – und in meiner Schreibzeit. Morgens schon sägt, hämmert, bohrt man. Man reißt raus, baut neu ein. Das ist nicht leise.

Am Wochenende und in der Woche nach vier Uhr geht es da hoch her. Okay, ich versteh das. Wir mussten unser Haus auch sanieren. Und man hört irgendwie nie auf. Wir wohnen in einer älteren Siedlung mit älteren Häusern. Ist man oben fertig, fängt man unten neu an. Es ist immer etwas zu tun und diese Dinge kosten Zeit, Kraft, Geld und machen Krach. Aber es ist eine schöne Siedlung mit schönen alten Häusern. Hier ist ein schönes Feeling, schön, um Bücher zu schreiben. Wenn da nicht die Gärten wären. Nein, nein – ich liebe unseren Garten, wir haben tolle Sträucher, Bäume, Blumen. Wir haben einen Kräutergarten und Gemüsebeete und Obstbäume. Wir haben eine Schaukel im Kirschbaum und eine Hängematte zwischen der Mirabelle und dem Pflaumenbaum. Wir haben einen Grill und benutzen ihn. Wir haben auch ein Stück Rasen.

Die Nachbarn haben Ziergärten. Beete, Blumen, Rabatten, Rasen. Die Nachbarn haben Laubsauger, Kettensägen, Heckenschneider, Rasenmäher und anderes mehr. Sie setzen ihre Gerätschaften ein. Lautstark. Immer dann, wenn keine Kinder nerven, keine Hämmer hämmern und wenn die Vögel friedlich zwitschern.

Die Gärtner der Nachbarschaft sind erbarmungslos. Sobald es mal nicht regnet, kommt eins der Geräte zum Einsatz. Lautstark. Immer dann, wenn ich gerade einmal eine ruhige Minute erwischt habe und schreiben will. Als ob sie es ahnen oder sehen könnten.

„Ach, die Renk sitzt wieder an ihrem Manuskript? Abgabe nächste Woche? Hähähä. Ich mähe jetzt den Rasen, schneid die Hecke, puste Laub ….“ Bitte die Liste selbstständig weiter ausfüllen.

Manchmal packt mich die pure Wut. Ich will schreiben und brauche RUHE!

Gestern haben nacheinander vier Nachbarn ihren Rasen gemäht. Kaum war einer fertig, fing der nächste an. Zum Schluss wurde eine Hecke elektrisch beschnitten. Das ist doch Absicht. Das machen die nur, um mich zu quälen, mich vom Schreiben abzuhalten. Das ist Folter.

Aber jetzt … jetzt ist alles still, bis auf die Vögel, die zwitschern. Die Nachbarn liegen in ihren Gärten und erfreuen sich am englischen Rasen, den korrekten Hecken und am Vogelgesang.

Es ist friedlich, ruhig und still. Meine Kinder sind im Freibad – die beste Gelegenheit, endlich den Rasen zu mähen. Schreiben kann ich danach noch, immerhin habe ich ein eigenes Arbeitszimmer mit einer Tür davor, auch wenn ich sie nicht abschließen kann.

Ihre Ulrike Renk

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5 Gedanken zu „Ein Königreich für ein Büro!“

      1. Hey Ulli, mit Hilfe von Horst-Dieter klappt das mit dem Kommentar.
        Auberginen in diesem Jahr? Mal sehen wann sie bei Dir auf dem Tisch kommen.
        In unserem Haus sind keine Kinder mehr, ich habe ein eigenes Büro mit Fenster zum Garten, die Nachbarn sind alltägliche Arbeitnehmer.
        Jetzt, im Sommer, gehen die Rasenmäher ab 17 Uhr los. Der Bauer nebenan, Nebenerwerblandwirt, fängt erst um 19 Uhr an zu arbeiten. Manchmal bis Mitternacht, volle Kanne mit Scheinwerfer.
        Es auch ein gutes Thema insgesamt für ein Buch, Nachbarn. Gruß Amos

  1. Liebe Ulli!

    Solltes so hoch hergehen bei dir, dann ziehe um.
    Wir haben noch Platz unter dem Nussbaum!
    Klar, die Vögel,die hier herumfliegen,
    eine größere Anzahl von Sperlingen,die stets im Formationsflug das Vogelhäusschen anfliegen , okkupieren und gegen jede andere Vogelart lautstark verteidigen,
    Schwalben die laut rufen, vermutich informieren sie pausenlos den jeweiligen Partner darüber in welcher Ecke besonders dicke Fliegen oder andere schmackhafte Insekten zu finden sind,
    die Ringeltauben, deren Flügel beim Anflug und Landen unwahrscheinlich laut flattern,
    die zwei Elstern, die alle Hof- Vögel zu lautem Gekreische veranlassen,
    sind schon eine Belastung für die Ohren.
    Auch die nahe Kirche,evangelisch und daher nicht ganz so nervend,wie die katholische Variante mit den Glockenschlägen, die weit in die Landschaft schwingen und dein Ohr nicht schonen, könnten ein Hemmnis fürs kreative Schreiben sein.
    Nur die paar Menschen,die hier wohnen, Christel,ich und einer unserer Söhne, die dürften dich überhaupt nicht stören,denn Rainer -alsoich- sitzt im Wohnzimmer, in der Nähe von Chrsitel an seinem Schlepptopp, schreibt etwas, dann springt er auf und reicht alles was Christel braucht ihr zu,achtet darauf,dass sie sich nicht verschluckt, jagt den Hund weg, der per Hypnose versucht Christels Löffel so zu verbiegen,dass er die Nahrung direkt in sein Maul löffelt,teilweise mit Erfolg übrigens, aber Rainer flitzt auch zum Postbten, der irgendeine Werbung in seinen Briefkasten stopfen will und damit den Platz wegnimmt, den die zahlreichen Barschecks brauchen, die die potenten Verlage ihm unbedingt aufdrängen wollen.
    Du siehst,hier wärees ideal für dich!;-)
    Du bist stets willkommen!

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