Horst-Dieter liest: Thomas Hettche – Herzfaden, Roman der Augsburger Puppenkiste

Hannelore Oehmichen, HaTü genannt, schnitzt mit dreizehn Jahren ihre erste Marionette: einen Kaspar. Doch ist sie nicht glücklich mit ihm, da er sie böse angrinst. Erst das Schnitzmesser des Vaters macht aus ihm einen fröhlichen Gesellen – für die anderen jedenfalls, nicht für HaTü selbst. Warum sie zu ihm eine Hassliebe pflegt, erfährt der Leser des Romans erst am Schluss. Die Geschichte der Augsburger Puppenkiste, von den ersten Anfängen im Krieg – da hieß das Oehmichensche Marionettentheater noch Puppenschrein – bis zu Jim Knopf, dem ersten Höhepunkt, kann der Leser verfolgen. Gleichzeitig ist es der romanhafte Weg HaTüs, die tausende der Figuren für die Marionettenbühne anfertigt. Das liest sich gut, wenngleich der Autor ein wenig behäbig erzählt. Krisen werden abgemildert, meistens jedoch umschifft. Das macht das Buch wenig spektakulär, aber auch gerade deshalb interessant. Es bietet dem Auge des Voyeurs wenig, denjenigen, die zwischen den Zeilen zu lesen verstehen, viel. Eine Lesempfehlung ist es auf jeden Fall wert, insbesondere, wenn man zu denen gehört, die von der Augsburger Puppenkiste und ihren Figuren ein Stückweit im Leben begleitet wurde.

Anfangs allerdings sah es so aus, als würde ich das Buch kaum gelesen weglegen müssen. In roter Schrift wird eine Parallelgeschichte erzählt: Ein Mädchen, dessen Eltern sich scheiden lassen wollen, läuft weg und gerät in die Welt der Marionetten. Die längst verstorbene HaTü taucht auf und der böse, böse Kaspar, der dem Mädchen das iPhone wegnimmt. Anfängerhaft geschrieben in meinen Augen, und mit ärgerlichen Details (muss in einem Roman so aufdringliche Werbung für Apple gemacht werden?), so dass ich das Buch aus der Buchhandlung nicht mitgenommen hätte. Ich bekam es aber geschenkt, und Geschenken gebe ich immer eine größere Chance. So kam ich dann doch zu einem für mich befriedigenden Leseerlebnis, auch wenn ich lange mit dieser Parallelgeschichte gehadert habe. Am Ende akzeptierte ich sie dann doch, weil für mich die Verbindung zur Hauptgeschichte plausibel war. Nicht akzeptiert habe ich bis zum Schluss die hellrote Schrift, sie lässt sich schwer lesen, insbesondere wenn die Passage über mehrere Seiten ging. Der Verlag wäre besser beraten gewesen, eine andere Lösung zur Abhebung der Parallelgeschichte zur Haupthandlung zu suchen. Vielleicht ist es eine Reminiszenz an Michael Ende, der auch in der Geschichte auftaucht. Dann hat auch dieses Manko (in meinen Augen) eine gewisse Berechtigung.

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