Leider kein Förderstipendium für Ingrid Noll und Theodor Fontane

von Jürgen Block

Ausschreibungstext:

Einmal jährlich vergibt das Kultusministerium zwei Stipendien an Autor*innen mit Wohnsitz im Bundesland. Das Nachwuchsstipendium richtet sich an Autor*innen im Alter von unter 40 Jahren, das Projektstipendium an bereits professionell arbeitende Autor*innen.

Mail von Jürgen Block an Herrn Lallement, den Geschäftsführer des Literaturhauses, 10.04.2023 11:25 Uhr:

Hallo, Herr Lallement,

ich lese gerade die Wettbewerbsbedingungen des Autor*innenstipendiums und wollte nachfragen, ob die Altersbeschränkung beim Nachwuchsstipendium wirklich ernst gemeint ist: Wer älter als 39 ist, wird nicht mehr als förderungswürdig angesehen? Also Menschen, die ihren Lebensschwerpunkt auf Beruf und Familie gelegt haben und deshalb keine Zeit für Luxus wie Schreiberei hatten, sollen nicht die Chance haben, sich im Alter literarisch weiterzubilden? Oder ist das so gemeint: Wer eine Familie versorgt hat, braucht auch keine finanzielle Förderung im Alter? Welcher Gedanke steht dahinter? Etwa die Weisheit: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?

Ist Ihnen klar, dass Sie damit ca. 63 % der Bevölkerung aus der Förderungswürdigkeit ausschließen (in der Bundesrepublik sind 57.77 Mio 39 Jahre und älter) – mit welcher Begründung? Nebenbei: Ist das ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeldern, wenn der größte Teil der Steuerzahler*innen ausgeschlossen wird? Liegt hier nicht eine gedankenlose Diskriminierung nicht nur der Alten, sondern auch der noch in Saft und Kraft stehenden Generation 40+ vor?

Nichts für ungut.

Viele Grüße

Jürgen Block

Mail von Herrn Lallement an Jürgen Block, 10.04.2023, 13:01 Uhr, sinngemäß wiedergegeben:

  • Die beiden Stipendien würden vom Kultusminister ausgeschrieben.
  • In vielen Bereichen/Sparten gebe es Nachwuchsstipendien.
  • Damit sollten junge Talente gefördert werden, die eine Laufbahn als professionelle Autoren anstrebten.
  • Man nenne so etwas „Nachwuchsförderung“, die es übrigens nicht nur in der Kunst, sondern auch im Sport, der Wissenschaft und Wirtschaft gebe.
  • Ein Nachwuchsstipendium sei deshalb nichts Ungewöhnliches und kein Skandal.
  • Sondern eine wohlüberlegte Förderung von jungen Talenten, die ihr Berufsleben noch vor sich hätten.
  • Es stehe jedem offen, sich auf das Projektstipendium für professionell arbeitende Autoren zu bewerben, da gelte nur die Voraussetzung, zumindest zwei, drei Texte in Literaturzeitschriften/Anthologien veröffentlicht zu haben.

Mail von Jürgen Block an Herrn Lallement, 10.04.2023, 17:24 Uhr:

Lieber Herr Lallement,

vielen Dank für Ihre Mühe und Ihre Antwort. Aber eine Begründung für die Praxis einer altersgebundenen Nachwuchsförderung für Schreiber ist noch nicht zu erkennen. Einmal wird mit der Autorität des Ministeriums für Kultur (argumentum ad verecundiam), zum anderen mit dem Vergleich, in anderen Bereichen werde analog verfahren (ratiocinatio per analogiam), argumentiert: Beides sind keine bzw. keine in allen Fällen überzeugenden Begründungen. Was für körperliche Tätigkeiten gelten kann (Nachwuchsförderung für junge Sportler), muss ja nicht unbedingt auch für die geistige Tätigkeit des Schreibens gelten. Es sei denn, man macht keine grundlegenden Unterschiede zwischen den Anforderungen eines Diskuswurfs und dem Tippen einer Kurzerzählung. Wenn es für Beruf und Spitzensport sinnvoll ist, die Ausbildung und Förderung altersmäßig zu begrenzen (was ja auch nicht stimmt, wenn man zum Beispiel die zahlreichen 50plus- und anderen Weiterqualifikationen im beruflichen Bildungsbereich berücksichtigt), so muss dies nicht automatisch auf für die Fähigkeit des Erzählens gelten, zumal wenn man mit guten Gründen voraussetzt, dass Erzählen eine Kompetenz ist, die allen Menschen zukommt und die ein Leben lang weiterentwickelt wird. So entpuppt sich die altersbegrenzte Nachwuchsförderung für Schreiber*innen als letztlich menschenfeindlich, weil sie die Persönlichkeitsentwicklung ver- oder zumindest behindert. Außerdem heißt es im Ausschreibungstext für das Projektstipendium, dass es sich an bereits „professionell“ arbeitende Autor*innen richtet. Gilt man vor dem Literaturhaus also schon als professioneller (das heißt berufsmäßiger und fachmännischer) Autor, wenn man zwei oder drei Anthologieveröffentlichungen vorweisen kann? Ich habe eher den Eindruck, dass dem Verfasser des Ausschreibungstextes das „professionell“ ebenso gedankenlos reingerutscht ist wie die (ja, ich weiß, überall anderswo auch praktizierte, damit aber nicht auch schon zu rechtfertigende) exkludierende Nachwuchsförderung.

Lieber Herr Lallement, meine Ausführungen sind nicht ad personam gerichtet. Ich möchte nur auf eine meines Erachtens unerhörte Praxis hinweisen.

Vielen Dank und viele Grüße

Jürgen Block

Mail von Herrn Lallement, 10.04.2023, 17:24 Uhr, sinngemäß wiedergegeben:

  • Seine Argumentation müsse Herrn Block nicht überzeugen, weil ihn die Argumentation des Herrn Block auch nicht überzeuge.
  • Da er noch einen Haufen Arbeit zu erledigen habe, fehle ihm die Zeit, weiter darauf einzugehen.
  • Außerdem halte er es für vollkommen unangebracht, von „menschenfeindlich“ zu sprechen.
  • Auch über die gedankenlose Verwendung des Wortes „professionell“ erübrige sich jede weitere Diskussion.
  • Was den „alten Nachwuchs“ angehe, würde er empfehlen, sich mal mit der eigentlichen Bedeutung des Begriffs „Nachwuchs“ zu beschäftigen.
  • Auf den Kultusminister habe er verwiesen, da das Ministerium das Stipendium vergebe und das Literaturhaus nur die Organisation übernehme.

Mail von Jürgen Block, nicht abgesendet:

Sehr geehrter Herr Lallement,

wieder gehen Sie kaum auf meine Nachfrage ein und verweisen stattdessen erneut auf den Kultusminister, womit jegliche Veranwortlichkeit für das eigene Handeln auf die vorgesetzte Behörde abgewälzt wird. Wie weit ist Ihnen klar, dass mit Ihrer Entscheidung, nur „junge“ Talente für einen späteren Autorenberuf zu fördern, die Förderungsziele auf die wirtschaftlichen Interessen der Verlage abgestimmt sind, für die die Betreuung von älteren Romandebütant*innen ein Risiko darstellt? Müssten aus diesen Gründen nicht umgekehrt gerade auch und vor allem die Alten gefördert werden, um ihren Nachteilen beim Marktauftritt abzuhelfen? Steht es einer Stadt, die den Titel „City of Literature“ anstrebt, gut zu Gesicht, die nachwachsenden 40plus Autor*innen aus der Literaturszene auszusperren? Dabei werden die Ziele doch recht vollmundig verkündet:

 „Die Literaturszene soll dauerhaft gestärkt, produktive Synergien sollen gebündelt, kluge Vernetzungen untereinander, aber auch national und international vorangetrieben und eine effektive Weiterprofilierung der bestehenden Strukturen angestoßen werden.“

Wie passen hier Theorie und Praxis zusammen? Anzumerken ist, dass selbst Astrid Lindgren mit ihrem Romanzweitling „Pippi Langstrumpf“ im Alter von 38 Jahren das Kriterium der Förderungswürdigkeit nur knapp erfüllt hätte. Wenn meine Argumentation weiterhin nicht überzeugt, verweise ich auf den Beitrag „Wen die späte Muse küsst“ vom Deutschlandfunk Kultur.

Viele Grüße

Jürgen Block

Kleine Liste von nachgewachsenen Romandebütant*innen 40plus

Ingrid Noll: Der Hahn ist tot (1991) 56 Jahre

Theodor Fontane: Vor dem Sturm (1878) 64 Jahre

Louis Begley: Lügen in Zeiten des Krieges (1991) 58 Jahre

H. Dieter Neumann: Die Narben der Hölle (2012) 53 Jahre

Heike Duken: Triebspiel (2013) 53 Jahre

Reinhold Neven DuMont: Die Villa (2009) 63 Jahre

Susann Pásztor: Ein fabelhafter Lügner (2010) 43 Jahre

Silvia Bovenschen: Älter werden (2006) 60 Jahre

Stephan Lohse: Ein fauler Gott (2017) 53 Jahre

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