Best of 42er – Lieblingsschurken: Long John Silver

„A Hund is’ er scho’!“ – Hier in Bayern gilt dieses Urteil Prominenten, deren trickreiches Wirken wir gleichzeitig verurteilen und bewundern. Schlawiner-Schurken. Männern. Dem Fußballmanager, der Milliarden verzockt, seine Strafe absitzt und zum Verein zurückkehrt. Dem Kaiser, dem wir selbstverständlich zugestehen, dass er seinen Spielraum als Monarch maximal ausnutzt. Manchem Politiker. Beileibe nicht jedem. Und ab und zu dem Pfarrer.

Long John Silver, der einbeinige Schiffskoch und Schurke aus Robert Louis Stevensons Abenteuerroman „Die Schatzinsel“, passt genau in diese Liga. Läge Bayern am Meer – nein, der Chiemsee zählt genauso wenig wie die Adria –, wir würden ohne Zögern einen Totenkopf auf die weiß-blau-rautierte Flagge malen, mit Long John in See stechen und singen:

Fünfzehn Mann bei des Toten Kist’ – Johoho, und ’ne Buddel, Buddel Rum!
Suff und der Teufel holten den Rest – Johoho, und ’ne Buddel, Buddel Rum!

Mehr als einhundertdreißig Jahre zählt Stevensons Werk um die Suche nach Captain Flints Schatz inzwischen. Weil – oder obwohl – es in den letzten Jahren neu übersetzt und gründlich entstaubt wurde, hat es sein Charisma behalten. Nach wenigen Seiten hänge ich am Enterhaken, wie beim ersten Mal, als ich im Grundschulalter war und das Buch vom älteren Nachbarsjungen leihen durfte.

Held und wissender Ich-Erzähler der Geschichte ist der junge Jim Hawkins, der in den Habseligkeiten eines alten Seeräubers eine Schatzkarte findet. Zusammen mit seinen Freunden und Förderern, dem Doktor Livesey und dem Squire Trelawney, segelt er auf dem Schoner „Hispaniola“ in ein rasantes Abenteuer. Jim ist Schiffsjunge, er bleibt stets tapfer, freundlich und gutgläubig.

Vom „Einbeinigen“, der wahren Hauptperson, hört Jim, lange bevor er ihm begegnet. Bill Bones, der alte Pirat mit der Schatzkarte, hat Todesangst vor seinem Verfolger und stirbt schließlich an deren Folgen. Als Jim dem einbeinigen Long John Silver gegenübersteht, verwirft er seinen ersten Verdacht. Der Besitzer der Kneipe „Zum Fernrohr“ ist einfach zu nett. Ein fleißiger, bodenständiger Mann, der auf der letzten Seefahrt etwas dazuverdienen und sich mit seiner Alten zur Ruhe setzen will. „Dukaten! Dukaten!“, kräht der Papagei, den er auf der Schulter trägt.

Long John Silver heuert als Schiffskoch auf der „Hispaniola“ an. Ein paar seiner Kumpels bringt er mit an Bord – und hält die unheimliche Mannschaft mit seiner zuvorkommenden, humorvollen Art von Fahrtbeginn an in Schach. Eine große Erleichterung für Jim, den Squire, den Doktor und ihren braven Kapitän Smollett. Sie ahnen nicht, dass Silver – „einer der beiden ehrlichen Männer an Bord“, wie der Doktor meint – ein eiskalter Schurke ist, vor dem sich angeblich sogar der verrufene Captain Flint fürchtet. Und dass ein Großteil ihrer Crew aus Piraten besteht, die nur auf den günstigsten Zeitpunkt warten, gegen die Chefs loszuschlagen.

Im Lauf der Reise organisiert Silver die Meuterei. Er tötet ein Besatzungsmitglied, das sich dem Aufstand nicht anschließen will, füllt den Steuermann mit Rum ab und wirft ihn ohne Aufsehen über Bord. Jims Freunde und den Kapitän hätte sicher ein ähnliches Schicksal ereilt, würde der Junge – in einem Fass mit Äpfeln versteckt – nicht zufällig Zeuge der Verschwörung.

Als die „Hispaniola“ die Insel erreicht, entwickelt sich ein wilder Kampf um die Karte – und um den Schatz selbst. Long John Silver zeigt sein ganzes Können als Schmeichler, Blender, Strippenzieher. Unbeirrt verfolgt er seine eigenen Interessen, ist den wechselnden Parteien Freund und Kamerad – oder hinterhältiger, kaltblütiger Gegner. Ein Meister des Verrats. Was auch passiert, Silver redet sich gekonnt aus jeglichem Unglück, zieht andere auf seine Seite und spannt sie für die eigenen Zwecke ein. Ein gerissener, schlauer Fuchs ist er. Ein echter Pirat, bewundernswerter Schlawiner-Schurke. A Hund is’ er scho’, verstehen Sie?

Wie die Schatzsuche ausgeht, ob Long John Silver überlebt und seine Pläne umsetzen kann, will ich nicht verraten. Die Abenteuergeschichte um die Fahrt zur Schatzinsel ist zu gut. Lesen Sie selbst, lassen Sie sich mitreißen!

Ihre Ingrid Haag

Robert Louis Stevenson, Die Schatzinsel

 

 

 

 

 

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